Zum neuen Jahr ne Playlist

Folgende Playlist habe ich zusammengestellt:

clipping./Make Them Dead/Visions of Bodies Being Burned; Burial/Broken Home/Burial; Dälek/Boycott/Precipice; Death Grips/Get Got/The Money Store; Keiji Haino & SUMAC/That fuzz pedal you planted in your throat, its screw has started to come loose Your next effects pedal is up to you do you have it ready?/Into this Juvenile Apocalypse Our Golden Blood to Pour Let Us Never; Lingua Ignota/Fucking Deathdealer/CALIGULA; Code Orange/In Fear/Underneath; Throbbing Gristle/I.B.M./D.O.A. the Third and Final of Throbbing Gristle; Throbbing Gristle/Valley of the Shadow of Death/D.O.A. the Third and Final of Throbbing Gristle; Ampliphædies (E)/Sunn O)))/Pyroclasts; Primitive Man/ I can’t forget/Scorn; SUMAC/Thorn in the Lion’s Paw

Stets ZUFÄLLIGE WIEDERGABE, der Name der Playlist ist absichtlich prätentiös: Freiraum. Der Grund: Unter Berücksichtigung eines Arguments, das mir der gute Herr Schmitt mitgeteilt hat, der es wiederum von Thomas Elsaesser übernommen hat: Angesichts der zunehmenden kommerziellen Bedeutungslosigkeit und Verdrängung durch neue dominante Genres und Formen können sich radikale Freiräume ergeben, wenn eh niemand wirklich hinschaut oder -hört.

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Warum noch Nationalismus?

Nationalismus gehört zu den am wenigsten nachvollziehbaren politischen Emotionen. Denn man macht sich etwas vor, wenn man das dumpfe Nationalgefühl oder den ignoranten Nationalstolz mehr als nötig adelt, indem man dieses Gefühl mit theoretischer Ambition zu einer Ideologie o.ä. aufwertet. Dabei zweifle ich nicht daran, dass es eine Form von Nationalismus gibt, die zu einer bestimmten Zeit einen hilfreichen politischen Zweck erfüllt, etwa wenn ein Land für die eigene Souveränität kämpft (wie derzeit die Ukraine oder, seit Jahrhunderten, Schottland und Wales, um sich aus dem Vereinigten Königreich zu lösen). Man weiß aber eben auch, wie hässlich und kleingeistig dieser Nationalismus wird, wenn es nicht mehr darum geht sich zu verteidigen. Zudem stünden jederzeit auch andere Ideen zur Verfügung, für die es sich einzutreten und gemeinsam zu kämpfen lohnt, Frieden etwa.

George Orwell, der in großen Fragen häufig Recht behalten hat und dessen Roman 1984 heute so häufig missverstanden wird, hat relevante Punkte zur Psychologie des Nationalisten in Notes on Nationalism (in: G.O.: Essays, London 2014, 300 – 317) zusammengefasst:

„(…) there is a habit of mind which is now so widespread that it affects our thinking on nearly every subject, but which has not yet been given a name. As the nearest existing equivalent I have chosen the word nationalism (…). It can attach itself to a church or a class, or it may work in a merely negative sense, against something or other and without the need for any positive object of loyalty.” (300)

“A nationalist is one who thinks solely, or mainly, in terms of competitive prestige. He may be a positive or a negative nationalist – that is, he may use his mental energy either in boosting or in denigrating – but at any rate his thoughts always turn on victories, defeats, triumphs, and humiliations. (…) The nationalist does not go on the principle of simply ganging up with the strongest side. On the contrary, having picked his side, he persuades himself that it is the strongest, and is able to stick to his belief even when the facts are overwhelmingly against him. Nationalism is power hinger tempered by self-deception. Every nationalist is capable of the most flagrant dishonesty, but he is also – since he is conscious of serving something bigger than himself – unshakeably certain of being in the right.” (301)

“What remains constant in the nationalist is his own state of mind: the object of his feelings is changeable, and may be imaginary.” (306)

Einen grundlegend wichtigen Aspekt lässt Orwell außer Acht. Sofern sich Nationalismus, also der Stolz auf die eigene Nation, daraus ableitet, dass man in einem bestimmten Land geboren worden ist, dann muss man festhalten, dass derjenige schlicht nicht weiß, worauf er überhaupt stolz sein sollte. Auf den zufälligen Umstand, dass er ausgerechnet in diesem Land geboren worden ist? Auf den Zufall, für den er weder Lob erwarten noch Verantwortung übernehmen kann? Worauf also möchte er stolz sein? Nur ein geringer Verstand vermag diese Tatsache nicht einzusehen.

Die unsichtbare Welt von Hilma af Klint

Ich weiß nicht, wann ich zum ersten Mal den Namen Hilma af Klint gehört habe; ich glaube, es war ein Fernsehbeitrag in einem der selten gewordenen Kulturmagazine. In dem Beitrag wurde auf den kunstgeschichtlichen Skandal abgehoben, dass Klingt als „Erfinderin“ abstrakter Malerei sowohl von ihren Zeitgenossen als auch von der Nachwelt missachtet oder ignoriert worden war und ist. Diese Ignoranz begünstigte dann die Sichtweise, Kandinsky, Klee und Malewitsch seien die ersten und bedeutendsten Vertreter abstrakter Malerei, ein eindeutiger und klarer bias der Zeitgenossen und der kunsthistorischen Zunft, die Klingt absichtlich habe tilgen wollen und erst heute, Jahrzehnte nach ihrem Tod könne man endlich das offizielle Bild der Kunstgeschichtsschreibung korrigieren. Daran ist sicherlich das Meiste richtig.

Das Kinderbuch Die unsichtbare Welt von Hilma af Klint der schwedischen Autorinnen Ylva Hillström und Karin Eklund bemüht sich erfolgreich darum, dieses kunsthistorische Versäumnis nachzuholen und bereits Kindern, Klint als die wichtige Künstlerin des frühen 20. Jahrhunderts vorzustellen. Interessant an dem Buch ist nicht nur die pädagogische Absicht. Hillström/Eklund erzählen gleichzeitig eine eigene Version der Ereignisse, die dazu geführt haben (mögen), dass Klint von der Nachwelt und, gravierender noch, ihrer Gegenwart nicht gewürdigt worden ist.Den Buhmann, den Hillström/Eklund ausmachen, ist Rudolf Steiner, dem Klint in Erwartung begeisterter Zustimmung ihre Bilder gezeigt hatte. Ihre Erwartung, Steiner könnten ihre Bilder interessieren und sogar begeistern, gründet dabei auf denselben esoterischen, mystischen und pseudo-wissenschaftlichen Überzeugungen. Die Bilder gefielen Steiner nicht; Hillström/Eklund legen ihm noch einige herablassende, paternalistische Empfehlungen für die Malerin in den Mund (vollkommen wahrscheinlich). Wohl weniger aus Eitelkeit, als aus dem Gefühl, von einem Geistesverwandten missverstanden worden zu sein, hört Klint für einige Zeit auf zu malen. Steiner hingegen kehrt nach Deutschland zurück und geht auf eine Vorlesungstour, bei der Wassily Kandinsky wenigstes einmal zu den Zuhörern gehört. Und nun soll sich folgendes Gespräch zwischen Kandinsky und Steiner zugetragen haben (wiederum wahrscheinlich).

Kandinsky soll Steiner seinen Plan erläutert haben, Bilder malen zu wollen, die irgendwie den Kosmos zusammenfassen, zeigen sollen. Daraufhin Steiner, nach Hillström/Eklund: „Ach wirklich… Dann habe ich Ihnen etwas zu erzählen, Herr Kandinsky.“ Und Steiner beugt sich vor und flüstert Kandinsky etwas ins Ohr.

Ein paar Seiten darauf zeigt das Buch dann eine öffentliche Notiz Kandinskys, in der der Maler 1911 das erste abstrakte gemalte Bild der Welt für sich reklamiert. Damit bekommt das Etwas, das Steiner dem Maler zugeflüstert haben soll, einen möglichen, präzisen Sinn. Vielleicht hat Steiner Kandinsky „gewarnt“: „Da ist eine Schwedin, die ist Ihnen voraus, mein lieber Kandinsky. Beeilen Sie sich, sonst werden Sie Zweiter.“

Kunstgeschichtsschreibung, wie jede Form der Geschichtsschreibung kunsthandwerklicher Ambitionen, ist immer ein bisschen albern. Die Frage, wer war zuerst da, ist im Kontext modernen und modernistischen Kunstverständnisses, in dem Kategorien wie Originalität, Einzigartigkeit und vergleichbare tote Vorstellungen vorherrschen und diese die Vorstellungen des Publikums, wie Kunst nun entstehe oder wer ein guter Künstler sei, entscheidend prägen, sicherlich zuhause. Sich diesen Vorstellungen zu unterwerfen, wie Hillström/Eklund in ihrem Versuch, eine Fehldeutung aufzuheben, tun, führt nicht zum tieferen Verständnis der Kunst, oder konkret, der Bilder. Ruhm ist Verständnislosigkeit.

Interessanter ist doch die Frage, warum zu ungefähr derselben Zeit, KünstlerInnen aus verschiedenen Ländern zu denselben Fragestellungen gelangen. Vielleicht wäre es nützlich, Ludwik Flecks Begriffe „Denk-Kollektive“ und/oder „Denk-Stil“ in die Kunstgeschichtsschreibung einzuführen. Und wenn Hilma af Klint zukünftig dann als Teil dieses Kollektivs ihre verdiente und überfällige Würdigung erhielte? Umso besser und, vor allem, angemessener.

Sonne

Da die Temperaturen in Deutschland sich an diesem Wochenende einem ungesunden Maß nähern und man dementsprechend sich in erster Linie in abgedunkelten Räumen aufhalten sollte, stellt sich die Frage, was tun? Und da man dem Klimawandel nicht so schnell entgegenwirken kann (oder wird, da ein beträchtlicher Teil der Menschen in Deutschland noch nicht wirklich davon überzeugt ist, dass das, was an diesem Wochenende passiert, ungewöhnlich ist oder das Ergebnis von Entscheidungen, deren langfristige Wirkungen bekannt sind, aber geleugnet werden), kann man einen Blick in die Literatur werfen, die teils Szenarien entwirft, wie eine durch Hitze entvölkerte Welt aussehen würde, wie etwa J.G. Ballards The Drought (1965). Teils wird aber auch einfach so die Wirkung der Sonne auf die Menschen beschrieben, wie etwa in Camus‘ Der Fremde, wo immerhin ein Mensch einen anderen Menschen erschießt, während ihm die hochstehende Sonne die Sinne verbrennt. Wenn man also Texte lesen möchte, in denen die Sonne eine uns bekannte bzw. eine zunehmend bekannter werdende Rolle spielt, folgen hier, in no particular order, Texte, in denen die Sonne als Akteurin auftritt: Neben dem bereits erwähnten Roman von Ballard könnte man auch noch Cocaine Nights von ihm nennen; von Camus könnte man die Sammlung von kurzen Texten nennen, die unter dem Titel Hochzeit des Lichts auf Deutsch erschienen ist. Zahlreiche Gedichte von Octavio Paz könnte man lesen, wie etwa die Folge kurzer Gedichte En Uxmal/In Uxmal oder das lange Piedra de Sol/Sonnenstein. Von Pasolini empfehle ich Die lange Straße aus Sand, von Flaubert Die Versuchung des heiligen Antonius und /oder Salammbô. Bevor Paul Celan seine Gedichte in eisige Gefilde getrieben hat, hat er noch einen Band veröffentlicht, der den angemessenen Titel Fadensonnen trägt. Auch in Tolstois Volkserzählungen wird man fündig, nämlich Braucht der Mensch viel Erde? Natürlich kann man auch zu Christoph Ransmayrs Die letzte Welt greifen.

Wenn das Lesen nur nicht so schwerfiele, wenn die Sonne scheint, wobei scheinen schon merkwürdig harmlos, zu zart klingt. Die Formulierung der brennenden Sonne ist leider schon so ausgelutscht (wenn auch tatsächlich angemessen), vielleicht wäre es angemessener davon zu sprechen, dass die Sonne einen niederdrückt, die Menschen lähmt und durch die Hitze, die sie verbreitet, es beinahe irrelevant ist, ob man im Schatten sitzt (ist es natürlich nicht). Aber die Hitze dringt überall hin und sie dringt überall ein, und nichts bietet wirklich einen ausreichenden Schutz. Welcome to the Future!

Ach herrje, eine Äußerung, auf die niemand gewartet hat

Immer passend auf eine Anekdote aus einem viel bekannteren Text zu verweisen, um in eigene Überlegungen einzuleiten: Max Goldt erzählt von einem merkwürdigen „Skandal“ in einem seiner Texte (philologisch ungesichert, aber den Text gibt es wirklich). Der Komponist Stockhausen wurde nach 9/11 nach seiner Meinung zu dem Ereignis gefragt und sinngemäß lautete seine Antwort, es habe sich dabei um das größte Kunstwerk gehandelt. So weit, so unangemessen, so blöd. Problem: Künstler/Intellektuelle und ihre Beziehung zu „den Medien“.

Michel Foucault im Gespräch mit Gilles Deleuze:

»Mir scheint, daß die Politisierung eines Intellektuellen bisher gewöhnlich zwei Wege genommen hat. Entweder ist sie von der Position des Intellektuellen in der bürgerlichen Gesellschaft, im System der kapitalistischen Produktion und ihrer Ideologie, ausgegangen: von der Position des Ausgebeuteten, des Elenden, des Verworfenen, des ›Verfemten‹, des der Subversion und Unmoral Beschuldigten. Oder sie ist vom Diskurs des Intellektuellen ausgegangen, sofern er eine bestimmte Wahrheit aufdeckte, sofern er politische Verhältnisse enthüllte, die noch unbemerkt geblieben waren. Diese beiden Formen der Politisierung waren einander nicht ganz fremd, aber sie trafen auch keineswegs immer zusammen. […] Der Intellektuelle sagte die Wahrheit denen, die sie noch nicht sahen, und im Namen derer, die sie nicht sagen konnten: er war Bewußtsein und Sprache. Was die Intellektuellen unter dem Druck der jüngsten Ereignisse entdeckt haben, ist dies, daß die Massen sie gar nicht brauchen, um verstehen zu können […].«

Pasolini war ein Großmaul, ein Marktschreier in eigener Sache, ein Vielredner, und genau darin war er ein typischer Intellektueller des 20. Jh., einer der „die Medien“ benutzte, sie brauchte, genauso wie „die Medien“ ihn brauchten, ihn benutzten, um ein Publikum zu gewinnen und zu erhalten. Dabei werden durch die Bilder, die gesendet werden, durch die Worte, die gedruckt werden, ein bestimmtes von Pasolini erzeugt, ein Bild, auf dem dann das nächste Interview, der nächste Artikel aufbauen und damit das Bild des Schriftstellers/Regisseurs/Dichters festigt und in der Vorstellungswelt des Publikums verankert, dessen Erwartungen prägt und wahrscheinlich zukünftig bestimmen wird. Das macht dieses Medienspiel auch so langweilig, weil es so vorhersehbar ist.

Künstlern/Intellektuellen (oder was man sich unter diesen Begriffen vorstellt) sollten niemals Fragen zu ihrer Arbeit gestellt werden, auch Tagespolitik eignet sich nur bedingt als Gesprächsthema und Anlass (wenn Künster/Intellektuelle beginnen, routiniert in „den Medien“ sich zu äußern, Lieferanten sendefertiger, zwangsläufig warenförmiger Soundbites zu werden, dann sollte man ihnen nicht nur misstrauen, man sollte nicht hinhören, was sie meinen zu sagen zu haben, oder lesen, was sie schreiben; mit nahezu absoluter Gewissheit kann man davon ausgehen, dass es die eigene Lebenszeit nicht wert ist; eine Art Naturgesetz der Medienökologie).

Dass es ein Publikum dafür gibt, ist verständlich und einfach zu erklären: Künstler/Intellektuelle, unabhängig von Ausdrucksform, Material etc., tun etwas, was die meisten anderen Menschen schlicht nicht können, oder wozu sie schlicht nicht bereit sind (das Leben der Kunst/Arbeit unterzuordnen, und zwar ohne Aussicht auf einen irgendwie angemessenen monetären Ausgleich), d.h. die meisten Menschen wären nicht mutig oder naiv genug, ihrer gewählte Tätigkeit gegen Widerstände und Zurückweisungen und/oder trotz Misserfolgen weiter nachzugehen. Zu groß würde der Realdruck der Verhältnisse gespürt und sie kehrten zurück in den warmen Schoß abhängiger Lohnarbeit und Konsums (ich nehme mich nicht davon aus). Künster/Intellektuelle sind in diesem Sinne sowohl außergewöhnlich als auch (eigentlich) die perfekten Arbeitnehmer*innen, weil sie möglichst alles ihrer Tätigkeit/Arbeit/Kunst unterzu-ordnen bereit sind. Treffender ist vielleicht noch ihre Charakterisierung als exzentrisch (sofern man darunter keine bloß psychologische Kennzeichnung versteht), da sie ein Leben an den Rändern gewählt haben, vielleicht auch ein Leben, das gegen ein unterstelltes Zentrum gerichtet ist. Aber dieser Mut (oder diese Naivität) garantieren nicht, dass Künstler/Intellektuelle besser über Außenpolitik oder Rechtsfragen Bescheid wüssten oder überhaupt etwas Anderes wüssten als das, was ihre Kunst/Arbeit betrifft oder beinhaltet. Der Eindruck, der entstehen kann, ist, dass Künstler/Intellektuelle vergleichbar unangemessene Gesprächspartner sind wie Sportler oder eben andere Menschen, die ihr Leben einer Sache gewidmet haben.

Ein Blick in die Geschichte sollte wie immer genügen, diesen Punkt offensichtlich zu machen; sicherlich gibt es immer Gegenbeispiele, aber häufig sind es gerade die Künstler/Intellektuellen, die bis heute eine Art von Gefolgschaft haben (Foucault etwa), die als irgendwie gefährlich galten und teilweise noch gelten, und schlicht falsch gelegen haben. Wirklichkeit erweist sich stets als vieldeutiger, überraschender und widerständiger als viele Künstler/Intellektuelle wahrhaben möchten, oder, vielleicht richtiger, können. Und sicherlich könnte es hilfreich, nicht jede Interviewanfrage mit einem Ja zu beantworten.

Frust

Zu meinen beruflichen Aufgaben gehört die Prüfung und Bewertung schriftlicher Leistungen von angehenden Lehrer*innen. Da ich dafür bezahlt werde, sollte ich mich nicht beschweren, aber die sprachliche Gestaltung vieler Texte, seien es Unterrichtsentwürfe, Reflexionen oder Staatsexamensarbeiten, ist häufig mittelmäßig, manchmal schlicht grausig. Jetzt könnte man den Standpunkt einnehmen, für Lehrer*innen komme es zukünftig, außer (vielleicht) in den Geisteswissenschaften, nicht wirklich darauf an, Texte schreiben zu müssen, da sie ja hauptsächlich mit Unterricht, also einem in erster Linie mündlichen Geschehen, zu tun haben werden. Man will gar nicht davon anfangen, von Stil zu reden, den Studierende nicht haben und nicht haben müssen; erschreckend ist vielmehr, dass viele, sehr viele Studierende keine Ahnung davon haben, wie man sprachlich etwas so formuliert, dass jemand, die das Geschriebene lesen muss, den Sinn des Gemeinten ohne Hindernisse verstehen kann. Und dieser Mangel an sprachlicher Fähigkeit ist in den meisten Fällen ein Ausdruck für die mangelnde gedankliche Durchdringung eines Inhalts oder der Planung einer Unterrichtsstunde oder -einheit.

Natürlich führt einen die ständige Beschäftigung mit schlecht geschriebenen Texten dazu, am Zustand der Gesellschaft zu verzweifeln. Was man in studentischen Arbeiten liest, ist nämlich nicht anders als das, was etwa in den Kommentaren unter Zeitungsartikeln gelesen werden kann. Häufig bekommt man dabei den Eindruck, jemand habe einen vollkommen anderen Artikel gelesen, man verliert die gemeinsame Realität, weil es doch eigentlich nicht sein kann, dass ein Artikel so falsch verstanden wird. Offensichtlich setzt das voraus, dass ich Zeitungsartikel immer richtig verstehe und zugleich über ein Maß an Ausbildung verfüge, das es mir erlaubt, den Sprachgebrauch (das meint hier das Lesen und Schreiben) anderer zu beurteilen. Dabei möchte ich mir gar nicht anmaßen zu behaupten, ich schriebe besser als andere (was auch immer „besser“ in diesem Zusammenhang bedeutet), aber ich bin davon überzeugt, aufmerksamer für sprachliche Fehler, Ungenauigkeiten, Misstöne zu sein. Diese Überzeugung ist nicht zuletzt eine Folge der kontinuierlichen Bewertung von studentischen Texten, von denen die Mehrzahl eben nicht gut genannt werden kann. Da ich nun auch schon zwanzig Jahre keine Schule als Schüler mehr besucht habe, habe ich auch keine Vorstellung davon, was Schüler*innen, die ein Gymnasium besuchen, lernen. Aufgrund meiner beruflichen Erfahrung in zwei Bundesländern kann ich keinen Unterschied zwischen Ost und West feststellen. Sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern (die ja so neu nicht mehr sind) nimmt die Mittelmäßigkeit zu und damit die eigentliche Eignung für den Besuch einer Universität ab. Und das lässt sich eben an den teils eklatanten Mängeln des schriftsprachlichen und mündlichen Ausdrucks deutlich erkennen. (Wozu das führt, mag eine kurze Abschweifung andeuten: Aufgrund Jahrzehnte langer bildungspolitischer Fehlplanung gibt es derzeit zu wenig Lehrer*innen in Deutschland. Um dieser ungünstigen Situation abzuhelfen, werden in Deutschland Tausende Studierende durch ein Lehramtsstudium geschleust, ohne dass ihnen eine wirkliche Ausbildung zugemutet würde bzw. zugemutet werden kann. Dass nur die wenigsten Studierende sich über die Mangelhaftigkeit der Ausbildung empören, die vor allem in chronischer personeller Unterbesetzung besteht, wodurch eine angemessene Betreuung der Studierenden zu keinem Zeitpunkt gewährleistet werden kann, kann selbst als Symptom einer nur unzureichend ausgebildeten Aufmerksamkeit gedeutet werden. Dass dieses fehlende kritische Interesse nicht in Gymnasien gefördert wird, hängt wohl daran, dass Lehrer*innen mit denselben Ausstattungsproblemen zu kämpfen haben wie Dozent*innen an den Hochschulen. Um wirklich nur kurz abzuschweifen: Was offensichtlich wird, ist ein bedauerlicher Kreislauf, in dem niemandem wirklich geholfen wird, aber alle irgendwie mittun, wodurch Schüler*innen von schlecht ausgebildeten Lehrer*innen unterrichtet werden und diese Schüler*innen dann wieder zu schlecht ausgebildeten Lehrer*innen werden usw. usf.)

Frustrierend ist daran, dass es zwar Möglichkeiten gäbe, den Studierenden zu helfen (denn bloß Fehler aufzuzeigen und diese entsprechend zu bewerten, führt nicht dazu, dass Studierende besser schreiben), aufgrund des personellen Mangels und des Mangels an Zeit, die man bräuchte, um sinnvolle Hilfestellungen zu geben, diese Möglichkeiten aber nicht verwirklicht werden können. Insbesondere scheint es weder Studierenden noch den meisten Professoren klar zu sein, wie viel Zeit nicht nur eine anständige Korrektur benötigt, sondern auch die Formulierung der nötigen Hilfestellungen, die ja auch, wie es eine gute Betreuung vorsähe, individuell abgestimmt sein sollte. Ich habe mal nur halb scherzhaft während eines Writing-Workshops den Vorschlag geäußert, es sollten, analog zu Mathe-Vorkursen in den Natur- und Ingenieurswissenschaften, Schreib- und Lese-Vorkurse eingerichtet werden. Mittlerweile halte ich das nicht mehr nur für einen Scherz.

Ein Vortragsmanuskript von vor mittlerweile 7 Jahren

Auf meiner externen Festplatte habe ich folgendes Manuskript gefunden, das ich (glaube ich) im Rahmen eines studentisch organisierten Workshops an der TU Dortmund gehalten habe. Woran ich mich noch erinnere ist, dass es mir Spaß gemacht hat, den Text zu schreiben; was fehlt sind die Film- bzw. Serien-Stills. Ich hoffe, man kann dem Text dennoch folgen. Wie immer bei Manuskripten wurde der Text nicht für eine „offizielle“ Veröffentlichung überarbeitet; sämtliche Fehler oder Ungereimtheiten oder argumentativen Schwächen wären (hoffentlich) von mir bereinigt worden. Vielleicht gibt es ja Leser*innen, denen es gefällt.

  1. Kritik

Glaubt man Tim Goodman, dem Fernsehkritiker des San Francisco Chronicle, dann handelt es sich bei Spartacus: Blood and Sand sehr wahrscheinlich um die schlechteste Serie der letzten zehn Jahre.

An early – and leading – candidate for worst series of the decade is „Spartacus: Blood and Sand,“ […].How the creators managed to mess up three known winners – gladiators, full-frontal nudity (both sexes) and stylized violence – is almost incomprehensible. If you were thinking this might be a cousin to „Rome“ on HBO, think again. „Spartacus“ even makes the vapid but visually intriguing „300“ seem like Shakespeare. Honestly, this series might appeal to teenage boys strangely attracted to Venice Beach, steroids and blood porn, but anyone else past the sophomore year of high school should steer very clear.

Robert Lloyd, Fernsehkritiker der Los Angeles Times, urteilt weniger hart; im Gegenteil erkennt er sogar das Bemühen um eine historische Darstellung:

It is a little bloody for my taste, personally.

Still, in between the rumbles in the arena and the rumbles in the bedroom, it’s a fairly talky show, the dialogue seasoned with word inversions that signify the classical world to the modern ear — „What purpose requires it?“ and such.

Hank Stuever von der Washington Post bringt dann den unvermeidlichen Vergleich zu Spartacus von Stanley Kubrick, wobei auch er durchaus den Reiz von Blood and Sand anerkennt:

But, oh, this Spartacus. It’s deliciously, marvelously bad, and I was helpless in its grip. It’s a long way from Kubrick, but what isn’t?

Leider geht Hank Stuever nicht näher darauf ein, inwiefern Kubricks Spartacus so viel besser als Blood and Sand sei. Wichtig ist an dieser Stelle, dass Kubricks Spartacus als Maßstab der Beurteilung gewählt wurde. Ob der Vergleich allerdings sinnvoll gewählt ist, ist eine andere Frage. Bei Blood and Sand handelt es sich immerhin um eine Fernsehserie, die somit nicht nur anderen Produktionsbedingungen, sondern als populärkulturelles Artefakt auch anderen Bewertungskriterien unterliegt (Paige Wiser etwa betont den Unterhaltungscharakter der Serie, wenn sie schreibt: „There’s no denying that stylized decapitations are entertaining, especially when accompanied by a generous helping of soft porn“). Und auch Kubricks Film ist vielfach kritisiert worden, nicht zuletzt vom Regisseur selbst. Folgerichtig versuchen etwa Georg Seeßlen und Fernand Jung in ihrer Monographie über Kubrick, den Film sowohl in der Genregeschichte als auch im Werkkontext zu verankern, indem sie ein alle Filme Kubricks verbindendes Grundthema ausmachen.

Kubrick untersucht auch hier die Freiheit des Menschen in ihrer Beziehung zur Maschinerie der Macht, der Maschinerie der Geschichte, und sein Held ist deswegen so viel schwerwiegender als der des klassischen Kostümfilms ebenso wie der politisch-historischen Fabel, weil er, zu einem großen Teil auch ganz körperlich, diesen philosophischen Widerspruch ausleben muß, mit eben jener Kubrickschen Konsequenz, die ihn über die Konstruktion von Sieg und Niederlage noch hinausführt. (Seeßlen/Jung 2001, S. 114)

Versteht man wie Seeßlen und Jung Kubricks Film auch als einen Versuch, ein philosophisches Dilemma filmisch zu verhandeln, dann wird man wohl zustimmen, dass es sich beim Film Spartacus um das kulturell wertvollere oder anerkanntere Objekt handelt, während die Fernsehserie Blood and Sand bloße Unterhaltung bereithält. (Dass eine solche Zustimmung vor allem banal ist, da sie ein Deutungsmuster wiederholt, das den kanonischen Auteur-Regisseur gegenüber der Fernsehserie nobilitiert, kann an dieser Stelle vernachlässigt werden.)

Unabhängig davon also, ob man den zitierten Werturteilen oder der Interpretation zustimmen mag, soll es im Folgenden darum gehen, nach den Bedingungen zu fragen, die solchen Äußerungen vorangehen. Entlang einer kurzen Geschichte des Begriffs der Wahrscheinlichkeit soll analysiert werden, was es überhaupt heißt, eine filmische Darstellung von Geschichte als der Geschichtlichkeit des Stoffes angemessen zu verstehen. Zu diesem Zweck wird ein Umweg über die Literatur genommen, da sich diese Problematik, d.h. die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, schon lange bevor sie ein Problem filmischer Darstellung geworden ist, am historischen Roman entzündet hat. Danach werde ich die jeweiligen filmischen Bilder des Spartacus-Stoffes miteinander vergleichen, um zu zeigen, welche Strategien benutzt werden, um den Eindruck historischer Wahrscheinlichkeit zu produzieren. Die Wahrscheinlichkeit filmischer Geschichtsbilder ist allerdings nicht nur das Ergebnis eines Gestaltungswillen auf Seiten des Autors bzw. der jeweiligen Film- und Fernsehschaffenden, sondern mindestens auch ein Rezeptionseffekt auf Seiten der Zuschauer, die das Dargestellte vor dem Hintergrund ihres Wissens über die Geschichte sowie ihrer Erfahrungen mit anderen Darstellungen von Geschichte prüfen und bewerten. Es wird deutlich werden, dass Wahrscheinlichkeit, genauso wie verwandte Konzepte wie Ähnlichkeit, Angemessenheit oder Authentizität, nicht etwas bezeichnen, das einer Darstellung einfach zukommt, sondern dass sie vielmehr das Ergebnis einer diskursiven Verhandlung sind, deren Implikationen zu analysieren sind.

  1. Flauberts Ärger

Gustave Flauberts Roman Salammbô erzählt vom Söldneraufstand gegen Karthago 241-238 v. Chr. Der Handlungsverlauf des Romans orientiert sich grob an den militärgeschichtlichen Fakten des Konflikts, wie sie von Polybios in seiner Historia berichtet werden. Im Zentrum der Handlung steht die Liebesbeziehung zwischen dem Söldnerführer Mathô und der Tochter des karthagischen Heerführers, Salammbô, die von Polybios allerdings nur beiläufig erwähnt wird. Die Erweiterung des militärischen Konflikts um die Dimension persönlicher Verwicklungen deutet auf die Änderungen bzw. Erweiterungen hin, die Flaubert am historischen Material vorgenommen hat. Es waren diese Änderungen, die die Kritik herausgefordert haben. Hier zeigt sich allerdings, dass Kritik an der Gattung des historischen Romans immer schon eine doppelte war.

In beinahe jeder Arbeit zum historischen Roman findet sich, bevor der Versuch unternommen wird, Merkmale oder eine Definition der Gattung festzulegen, der Hinweis auf die konventionelle Kritik, von der der historische Roman seit seiner Grundlegung betroffen ist.[1] Dabei zielt diese Kritik auf einen doppelten Mangel: Da der historische Roman für die Darstellung einer spezifischen historischen Wirklichkeit auf außerliterarisches Material angewiesen ist und zwangsläufig darauf zurückgreifen muss, gilt er vor dem Hintergrund autonomieästhetischer Vorstellungen als mangelhaft. Der Anteil schöpferischer Imagination, die Leistung des Dichters also, sei in den Augen der Kritiker gering, orientiere er sich doch für seine Darstellung an bloß gefundenem Material. Da sein Produktionsprozess externen Faktoren gehorche, erfülle der historische Roman auf rezeptionstheoretischer Ebene vor allem das Unterhaltungsbedürfnis der Leser. Sein ästhetischer Mangel manifestiere sich in seiner angeblichen Trivialität. Diese Kritik ist das Ergebnis einer Kontroverse zwischen Geschichtswissenschaft und Literatur, in deren Verlauf versucht worden ist, die Grenzlinie zwischen den beiden Bereichen zu festigen und für Übergriffe undurchlässig zu machen.

Von wissenschaftlicher Seite betrachtet, zeichne die Gattung sich einer gängigen Meinung zufolge durch ihren mangelhaften, d.h. die wissenschaftsspezifischen Standards ignorierenden Umgang aus. Da sich der Dichter nicht der Mühe eines quellenkritischen Studiums unterwerfe, habe er zur Erkenntnis der Vergangenheit nichts beizutragen. Schlimmer noch, indem er dem Leser den Eindruck vermittle, dass es so gewesen sein könnte, stifte er zusätzlich Verwirrung. Vor allem der Archäologe Guillaume Froehner hat sich an der Verwendung bzw. Missachtung von Quellen durch Flaubert gestoßen, wodurch sich der Autor gezwungen sah mit einem ausführlichen Brief am 21. Januar 1863 zu antworten. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Kritik Froehners sowie Flauberts Reaktion zu rekonstruieren. Hinsichtlich der Frage nach dem Problem der Wahrscheinlichkeit nur so viel: Da der verfügbare Bestand an zuverlässigem historischen Material eher begrenzt war, verfiel Flaubert auf die Idee, andere Zeugnisse zu nutzen, um eine angemessene Darstellung des karthagischen Alltags, der unterschiedlichen Religionen und ihrer Riten sowie der Kleidung und der Architektur zu erreichen. Flauberts Methode bestand darin, fehlendes authentisches Material durch »analoge Belege aus anderen Kulturbereichen und anderen Epochen« zu ersetzen. Inwiefern ein solches Vorgehen legitim ist oder nicht, soll hier nicht weiter erörtert werden. Wichtig ist, dass Flaubert an einer Stelle seines Briefes schreibt:

Ich besitze freilich keinen Text, um Ihnen zu beweisen, daß es eine Straße der Gerber, der Parfummacher, der Färber gab. Sie müssen aber zugeben, daß es jedenfalls eine sehr wahrscheinliche Hypothese ist.

Zwei Dinge sind bemerkenswert an dieser Stelle: Erstens, die Entgegensetzung von Wahrscheinlichkeit und Wahrheit bzw. Evidenz; zweitens, die implizite Annahme, dass durch die bis zu diesem Zeitpunkt in dem Brief von Flaubert geführte Argumentation sowie die fiktionale Darstellung im Roman der Kontext markiert wird, in dem „eine Straße der Gerber, der Parfummacher, der Färber“ wahrscheinlich werden kann. Die wahrscheinliche Erfindung erscheint somit als Gegenteil einer wissenschaftlichen, beweisbaren Tatsache und als Ergebnis einer Konstruktion, die das Dargestellte wahrscheinlich macht bzw. machen soll.

Vor diesem Hintergrund erweist sich ein Brief an Sainte-Beuve als aufschlussreich, der Flauberts Roman ebenfalls in einer Rezension hinsichtlich der historischen Details kritisiert hatte. Zwar betont Flaubert gegenüber Sainte-Beuve, er habe ›keineswegs ein phantastisches Karthago‹ geschaffen; bezogen auf seinen Roman sei die Frage nach der Authentizität des von ihm geschaffenen Karthagos jedoch im Grunde gleichgültig:

Vielleicht haben Sie mit ihren Betrachtungen über den auf die Antike angewandten historischen Roman recht, und es ist sehr gut möglich, daß ich damit gescheitert bin. Doch nach allen Wahrscheinlichkeiten [vraisemblances] und nach meinen eigenen Eindrücken glaube ich etwas zustandegebracht zu haben, was Karthago ähnlich ist. Doch liegt da nicht das Problem. Die Archäologie ist mir gleichgültig. Wenn die Farbe nicht einheitlich ist, wenn die Einzelheiten nicht zusammenpassen, wenn die Sitten sich nicht aus der Religion herleiten und die Fakten nicht aus den Leidenschaften, wenn die Charaktere nicht folgerichtig, wenn die Kostüme den Gebräuchen nicht angemessen sind und die Architektur nicht dem Klima, wenn, in einem Wort, keine Harmonie entsteht, so habe ich unrecht. Sonst jedoch nicht! Alles hängt miteinander zusammen.

In Flauberts Antwort auf Sainte-Beuves Kritik werden nun weitere Merkmale des Wahrscheinlichkeitskonzepts offenbar. Deutlich wird, dass Flauberts ›wahrscheinliches‹ Karthago nicht wissenschaftlich korrekt sein muss; vielmehr muss auf der Ebene der fiktionalen Darstellung eine ›Harmonie‹ zwischen den einzelnen Elementen, sowohl fiktiv als auch real, also eine interne Plausibilität und Widerspruchsfreiheit, hergestellt werden. Damit ändert sich der Status der in den Text eingefügten Realien: Diese dienen zunächst als Markierung eines faktualen Zusammenhangs, in den dann fiktive Elemente integriert werden können, die nicht notwendig wahr sein müssen. Sie müssen sich allerdings so einfügen, dass sie wenigstens nicht mit den realen Anteilen in Widerspruch geraten. Am besten ist es sogar, wenn sie durch ihre Hinzufügung zum realen Material für wirklich gehalten werden können. In dieser Hinsicht sind sie stets fiktiv und niemals unwahr.

Der ästhetische Zusammenhang, die von Flaubert angestrebte ›Harmonie‹ zwischen den Elementen, schützt den Autor und den Leser vor im wissenschaftlichen Sinne explizit falschen Darstellungen, da die in ästhetischer Hinsicht gelungene historische Darstellung keine gravierenden Fehler zulässt, sonst würde sie nämlich ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Es gibt demnach sowohl auf produktionsästhetischer Ebene den Anspruch, etwas Wahrscheinliches zu schaffen, als auch auf rezeptionsästhetischer Ebene. Die Harmonie der Darstellung und des Dargestellten muss vom Leser anerkannt werden und dies gelingt wiederum am ehesten, wenn die eigenen Erfahrungen mit dem Dargestellten übereinstimmen bzw. das Dargestellte der Erfahrung nicht widerspricht. Hinsichtlich des Lesers und seinem Willen, der Darstellung zu glauben, enthält der Begriff der Wahrscheinlichkeit die Komponente der ›Erfahrungsverträglichkeit‹ (Seiler). Diese Erfahrungsverträglichkeit umfasst sowohl faktisches Wissen als auch Erfahrung im Umgang mit historischen oder historisierenden Darstellungen und ist gleichsam historisch vorgebildet und diskursiv hergestellt.

  1. Wahrscheinlichkeit und Realitätseffekt

Die Forderung danach, dass eine Darstellung, die auf einem historischen Stoff basiert, wahrscheinlich sein müsse, stellt den historischen Roman in die literarische Tradition des Realismus. Wenn es der Geschichtswissenschaft darum geht, zu sagen, wie es wirklich gewesen ist, so gilt für die historisch-realistische Literatur, dass sie sagen solle, wie es wirklich gewesen sein könnte. Zu diesem Zweck bedient sich die Literatur verschiedener Darstellungsstrategien, die gewährleisten sollen, dass der Leser das Erzählte für wahrscheinlich und somit glaubhaft hält. Drei Strategien stehen dabei im Vordergrund, die unter anderen medialen Vorzeichen auch für die filmische Repräsentation von Geschichte genutzt werden. Auf der Ebene der Diegese zeichnen sich historische Romane (aber auch realistische) durch das Bemühen aus, psychologische Kohärenz herzustellen, d.h. die jeweiligen Handlungen der einzelnen Figuren sowohl auf der charakterlichen als auch auf der historischen Ebene einheitlich und somit wahrscheinlich zu gestalten. Die Handlungen eines Heerführers etwa müssen sowohl im Einklang mit der allgemeinen Plotführung stehen als auch mit den Erfordernissen des gewählten historischen Stoffes. Als zweite Darstellungsstrategie kann die ausführliche Beschreibung von Kleidung, Städten, Waffen, Riten etc. identifiziert werden. Der Umfang der oft langatmigen Schilderungen zahlreicher historischer Romane ist häufig das Ergebnis eines detailversessenen Beschreibungswillens, der narrativ die Funktion hat, dem Leser die Vergangenheit ›vor Augen zu führen‹. Eine letzte Darstellungsstrategie betrifft die Übersetzung der Vergangenheit. Gemeint ist damit der Umstand, dass eine vergangene Epoche zum Sprechen gebracht werden soll; ein Unterfangen, das umso schwieriger wird, je weiter die repräsentierte Vergangenheit zurückliegt.

In der Dedicatory Epistle zu Walter Scotts Roman Ivanhoe geht der fiktive Herausgeber des Textes auf dieses Problem ein, indem er an den Dichter Thomas Chatterton erinnert, der in einem künstlichen mittelalterlichen Dialekt Gedichte geschrieben hatte, die von den Lesern allerdings nicht mehr verstanden wurden.

In order to give his language the appearance of antiquity, he rejected every word that was modern, and produced a dialect entirely different from any that had ever been spoken in Great Britain. He who would imitate an ancient language with success, must attend rather to its grammatical character, turn of expression, and mode of arrangement, than labour to collect extraordinary and antiquated terms, which, […], do not in ancient authors approach the number of words still in use, though perhaps somewhat altered in sense and spelling, in the proportion of one to ten. (Scott: Ivanhoe, S. 19)

Entscheidend ist demnach nicht, auf sämtliche ›antiquierten‹ Wörter zu verzichten, sondern sie im richtigen Verhältnis zu verwenden sowie eine Annäherung an vergangene grammatische und syntaktische Eigenheiten zu versuchen. Im Falle von Walter Scotts Ivanhoe stellte sich dem Autor zusätzlich das Problem, dass der Grundkonflikt zwischen Normannen und Sachsen für die zeitgenössischen Leser nur angemessen geschildert werden könne, wenn man die Dialoge in Englisch verfassen würde, und nicht, wie es historisch richtig gewesen wäre, in Angelsächsisch und Normannisch.

Die drei vorgestellten Darstellungsstrategien zur Produktion von Wahrscheinlichkeit stellen eine Art Fortführung des Konzepts des ›Wirklichkeitseffekts‹ dar, wie er von Roland Barthes zum ersten Mal formuliert worden ist. Allerdings hat Barthes dieses Konzept zunächst am Beispiel realistischer Literatur entwickelt. Dabei kann man davon ausgehen, dass sämtliche fiktionalen Genres, ob realistisch, historisch oder sogar Science-Fiction, diesen spezifischen Effekt erzielen können. Und, so könnte man noch weitergehend formulieren, das Gleiche, was Barthes für die Literatur festgehalten hat, gilt unter anderen medialen Voraussetzungen auch für die filmische Repräsentation.

Anders als die Literatur, die konventionell nur aus einem Zeichensystem besteht – der Sprache bzw. genauer der Schrift –, gilt es beim Film bzw. der filmischen Darstellung zwischen verschiedenen Zeichensystemen zu unterscheiden. Dabei bietet es sich zunächst an, ein grobes Raster vorzulegen, das zunächst die visuellen Zeichen von den akustischen Zeichen unterscheidet (letztere sollen im Folgenden unbeachtet bleiben, da man daraus einen eigenen Vortrag machen könnte; nur soviel: das Sounddesign und der Soundtrack sind natürlich auch daran beteiligt, dass eine Darstellung wahrscheinlich, glaubhaft, wirklich wirkt. Man stelle sich etwa einen ritterlichen Zweikampf vor, der mit den Lichtschwertgeräuschen aus Star Wars unterlegt worden ist. Hinsichtlich des Soundtracks mag man etwa an Marie Antoinette denken, der ja aus zeitgenössischen Pop- und Rock-Songs besteht; Coppolas Film möchte ja auch nicht historisch akkurat sein, sondern bricht sehr bewusst mit dem historischen Stoff). Die visuellen Zeichen einer filmischen Darstellung umfassen etwa die Kostüme, die Set-Bauten, die Schauspieler, die Farben, den Einsatz von Spezialeffekten, wie Green Screen, oder auch bei historischen Stoffen, die Einblendung von Daten und Orten. Diese Zeichen sind auf der Bildebene dafür verantwortlich, dass eine historische Darstellung ge- oder misslingt. Gleichzeitig bilden sie das literarische Äquivalent zur Darstellungsstrategie der Beschreibung: was in einem literarischen Text beschrieben wird, kann in der filmischen Darstellung einfach ins Bild gesetzt werden. Dieses Ins-Bild-Setzen unterliegt offensichtlich auch dem Gebot der Widerspruchsfreiheit: ein Bild, das etwa durch die Angabe eines Zeitpunkts, etwa 1789, darf, sofern die Wahrscheinlichkeit der folgenden Handlung gewahrt bleiben, kein Flugzeug zeigen. Allerdings, und das ist merkwürdig, kann das Bemühen um historische Wahrheit gerade auch die Künstlichkeit der Darstellung und des Dargestellten bewirken (bspw. bei Kubricks Barry Lyndon mündl. Ausführen; Kerzenschein).

Vom akustischen und visuellen Zeichensystem kann dann noch die narrative Ebene unterschieden werden, die das Ergebnis sowohl der Handlungen und Dialoge zwischen den einzelnen Figuren als auch der Montage ist. Diese drei Ebenen gilt es bei der Analyse einer filmischen Repräsentation im Blick zu halten. Dabei soll im nun folgenden Vergleich der Bilder von Kubricks Film Spartacus und der TV-Serie Spartacus: Blood and Sand vor allem die Frage interessieren, welche visuellen Zeichenelemente der Herstellung von Wahrscheinlichkeit dienen. (In diesem Zusammenhang ist die Frage nach der jeweiligen Handlungsführung zweitrangig; in beiden Fällen handelt es sich um eine Heldengeschichte, wobei Kubricks Film durchaus versucht, die Figur des Spartacus und den von ihm angeführten Sklavenaufstand auf die politische Situation im Senat in Rom zu beziehen, während die Serie Blood and Sand die Figur des Spartacus vor allem als Individuum zeigt, das sich wegen eines Verrats rächen und seine Ehefrau wiederfinden möchte. Auch ein anderes narratives Element bleibt im Folgenden unbeachtet, und zwar die Dialoge. Um den Zuschauern die Handlung klar zu machen, sprechen sämtliche Figuren in Spartacus und in Blood and Sand die gleiche Sprache, was insofern bemerkenswert ist, da in der Gladiatorenschule Männer aus verschiedenen Völkern aufeinandertreffen, deren gemeinsame Sprache nicht modernes Englisch gewesen sein wird. Beide Spartacus-Produktionen bedienen sich etwa des Hilfsmittels der Wortumstellung, wodurch eine veraltete Sprechweise imitiert werden soll. Bei Blood and Sand werden zudem wiederholt lateinische Wörter wie „dominus“ oder „ludus“ in die Dialoge eingebaut, was angesichts der durchgängig verwendeten sprachlichen Vulgaritäten einen eher komischen Effekt hat [Asterix „Beim Teutates!“; BaS: „Jupiter’s cock!].)

  1. Die Bilder

Beginnen wir mit Kubricks Spartacus. Das erste Bild zeigt eine Gruppe von Gladiatorenschülern. Die wichtigen Elemente, die sowohl die historische Zeit als auch den sozialen Status der Figuren bezeichnen sind: sämtliche „Schüler“ tragen erdfarbene Kleidung und einfache Sandalen; der Ausbilder trägt Sandalen, eine Art von Knieschonern sowie eine Lederrüstung am Oberkörper, außerdem ist seine Kleidung knielang. Weitere wichtige Elemente sind das Schwert sowie die Frisuren der Gladiatoren bzw. genauer der kleine Zopf, den die Gladiatoren tragen müssen. Die Umgebung ist die Gladiatorenschule, wobei an den Gittern rechts im Bild sowie an den Zacken an der oberen Hauswand deutlich wird, dass die Gladiatoren nicht freiwillig dort sind, sondern als Sklaven Eigentum des Leiters Batiatus sind, der sie wiederum trainieren und weiterverkaufen möchte.

Das zweite Bild zeigt den römischen Senat bzw. das Halbrund, in dem die Senatoren miteinander diskutieren. Sämtliche Senatoren tragen eine weiße Toga, die an den Rändern rot abgesetzt ist. Eine Mehrzahl der Senatoren ist weißhaarig, ein deutliches Zeichen für ihr höheres Alter. Auch bei der Raumgestaltung dominiert die Farbe Weiß. In beiden Bildern zeigt sich der Wille, der antiken Vergangenheit durch die Gestaltung der Kostüme, der Räume und der Frisuren der Schauspieler gerecht zu werden. Darüber hinaus zeigt sich, dass die angeführten Zeichen nicht nur die Funktion haben, eine darstellerische Wahrscheinlichkeit zu erzeugen, vielmehr kommt denselben Zeichen häufig eine sekundäre Funktion zu. Die Konfliktparteien – Aufständische/Senatoren, Sklaven/Patrizier, Jugend/Alter – werden durch eine spezifische Farbgebung sowie durch ein je spezifisches Kostüm gekennzeichnet. Auf diese Weise wird bereits auf der Bildebene, ohne den Gebrauch narrativer Elemente, eine Opposition deutlich, die gleichzeitig den dramaturgischen Konflikt bestimmt.

Das dritte Bild zeigt wie Crassus, der Antagonist von Spartacus, und ebenfalls Senator (gekennzeichnet durch den rosafarbenen, mit goldenen Ornamenten versehenen Umhang) dem Gladiator Draba einen Dolch in den oberen Rücken sticht. Wichtig ist hieran, dass dem Realismus-Gebot gemäß, dem historische Darstellungen unterliegen, rotes Blut zu sehen ist sowie die Tatsache, dass die jeweilige Waffe wirklich in den Körper eindringt. Das ist vor allem bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Hitchcocks Psycho aus demselben Jahr in der berühmten Duschszene (da er in Schwarz-Weiß gedreht wurde) weder rotes Blut noch das Eindringen des Messers in Körper zeigt.

Kommen wir zum letzten Bild-Beispiel aus Kubricks Spartacus, dem Beginn der Schlachtsequenz. An dieser Stelle zeigt sich die Bemühung der Vergangenheit zu entsprechen wohl am deutlichsten. In einer Aufsicht sieht der Zuschauer einen Teil der römischen Armee im Vordergrund des Bildes sowie im Hintergrund des Bildes das Heer der ehemaligen Sklaven, wie es auf einer Anhöhe steht. Wichtig an dieser Totalen, weil historisch angemessen und somit beim Zuschauer den Eindruck von Wahrscheinlichkeit auslösend, ist die Leere des eigentlichen Schlachtfeldes in der Bildmitte sowie die dadurch visualisierte Distanz zwischen den zwei Heeren.

Ganz anders die Bilder von Spartacus Blood and Sand: Auf dem ersten Bild sieht man wie sich Spartacus von seiner Frau Sura verabschiedet, um in den Krieg zu ziehen. Er trägt eine Art Rüstung und einen Umhang, sie ein Kleid. Interessant ist allerdings etwas anderes, nämlich der Sonnenaufgang, der eindeutig digital hinzugefügt worden ist. Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass die Serie Blood and Sand nicht in erster Linie realistisch sein will.

Auch das zweite Bild besticht durch digitale Hinzufügung von Bildelementen, und zwar wurde nicht nur reichlich Blut hinzugefügt. Auch die Zuschauermenge sowie die Tribüne im Hintergrund sind digitale Zugaben. Allerdings dürften die Kostüme eine angemessene historische Wahrscheinlichkeit beanspruchen.

Das dritte Bild wiederum gewährt den Zuschauern einen Blick hinter die Kulissen der Gladiatorenschule, genauer in den Waschraum. Bemerkenswert ist hier nicht die besonders für den US-Markt bemerkenswerte/seltene/aufsehenerregende full frontal nudity, sondern die damit verbundene Konzentration auf die Körper bzw. Körperlichkeit der Gladiatoren. Die Körper sind nicht einfach nackt, sondern vollkommen haarlos und glänzend. Unwahrscheinlich daran ist nur die Muskelverteilung, wenn man auf den Gladiator Crixus achtet.

Alle drei Bilder sind repräsentativ für den Look der Serie: die Hinzufügung digitaler Bildelemente sowie die visuelle Konzentration auf Blut und nackte Körper. Letzteres ist dabei durchaus der Bemühung geschuldet historische Plausibilität herzustellen. Sowohl die Gewalt, gekennzeichnet durch umher spritzendes Blut, als auch der Fokus auf die Körperlichkeit der Figuren (gekennzeichnet durch wiederholte Nacktheit) können auf visueller Ebene als Versuche gewertet werden, etwas von der Archaik der antiken Zeit zu vermitteln. Blut, Gewalt (und Sex) sind Mittel um historische Evidenz zu erzwingen. Beide Spartacus-Produktionen weisen unterschiedliche Grade von Wahrscheinlichkeit auf: Während Kubricks Film die politische Dimension des Konflikts zwischen Aufständischen und Herrschenden zeigt, möchte Blood and Sand vor allem den historischen Abstand zur gleichsam archaischen wie dekadenten Vergangenheit zeigen. Dass die Serie dabei häufig unfreiwillig komisch wirkt, liegt nicht allein an den Dialogen, sondern an der penetranten Wiederholung der immer gleichen Bilder.

Es dürfte deutlich geworden sein, dass sämtliche Darstellungen von historischen Stoffen in einem gewissen Maße wahrscheinlich sind. Selbst eine Serie wie Spartacus: Blood and Sand, deren Bilder jeglichen Realitätsanspruch zu verneinen scheinen, benutzt Zeichenelemente, die das Gezeigte wahrscheinlich erscheinen lassen. Natürlich ist die Beschreibung und Analyse visueller Zeichenelemente immer zurückzubinden an die jeweilige Erzählung. Wenn Blood and Sand wie beschrieben vor allem Blut und nackte Körper zeigt, so könnte man argumentieren, dass die narrative Begrenzung des Spartacus-Stoffes auf die Gladiatorenthematik die Bildgestaltung massiv beeinflusst hat. Betont wird demnach in der Fernsehserie der archaische Spektakelcharakter des Gezeigten, den man den antiken Spielen unterstellt. Bei Kubricks Spartacus steht, wie gesagt, die politische Dimension im Vordergrund. Dass die Handlung sich vor allem auf den Kampf der ehemaligen Sklaven gegen das große Rom konzentriert, verdankt sich sowohl der Buchvorlage von Howard Fast als auch dem Drehbuch von Dalton Trumbo. Beide Autoren waren überzeugte Kommunisten und die Wahl des Stoffes darf sicherlich auch unter dem Gesichtspunkt verstanden werden, dass ein historisches Exempel für den Klassenkampf gewählt wurde. Dabei gehorcht die Darstellung den Ansprüchen an den monumentalen Kostümfilm und hat auf diese Weise die Möglichkeit eröffnet, politische Inhalte zu transportieren.


[1] Vgl. dazu Aust 1994; S. 1: »Vom Beginn seiner Geschichte an führt die Poetik des historischen Romans einen Rechtfertigungskampf gegen den Vorwurf, daß er als ›Zwittergattung‹ im Grunde schlechte Ästhetik sei und mit seiner Überbrückung von Roman und Historie, Erzählung und Drama sowie Wissenschaft und Spannung nur für die Unterhaltungsindustrie tauge.« Ferner: Müller-Michaels 1988, S. 11: »Der historische Roman sei eine Zwittergattung von trauriger Gestalt. Die ganze Gattung bleibe hinter dem ästhetischen Autonomie-Potential zurück, weil sie ästhetikexternes – referentialisierbares – Material benutzen muß und auf ästhetikexterne – praktische, politische – Effekte bei den Lesern schiele. Der historische Roman vermenge auf unselige Weise wissenschaftlichen und literarischen Diskurs, sei ein didaktisch angelegtes, auf Unterhaltungseffekte kalkulierendes Verdoppelungsunternehmen zum Transport von Erkenntnissen, die im wissenschaftlichen Diskurs besser und valider vermittelt werden könnten.«

Good ole telly

Fernsehen ist tot. Zumindest die Form von Fernsehen, mit der ich aufgewachsen bin. Daran ist auch nichts Schlechtes, war doch das Meiste, das gesendet wurde, bescheidenes Mittelmaß. Und für Fernsehen trifft alles zu, was über es geschrieben worden ist: es strukturiert Zeit, es ist familiärer Sammelpunkt, es ist mittelmäßig, weil es sich an die größtmögliche Masse an Menschen richtet/gerichtet hat und das Angebot entsprechend gestaltet/gestaltet hat (lustigerweise wird dieses Angebot meistens sehr viel schlechter, wenn starke kommerzielle Anreize dahinterstehen; ist beinahe eine Gesetzmäßigkeit), und es vergisst. Für die meiste Zeit gab es kein Gedächtnis, oder medientechnisch gesprochen, kein Archiv. Fernsehen war eher eine große Traumamaschine voller unerwünschter Erinnerungen. Remember 9/11, anyone?

Als Kind habe ich viel und gerne ferngesehen und so ist es auch kein Wunder, dass ich gerne YouTube schaue. Und weil ich gerne ferngesehen habe, war David Foster Wallace auch der Schriftsteller, der mich in den letzten Jahren am meisten interessiert hat. Dabei ist es nicht so, dass ich mit allem übereinstimme, was DFW über Fernsehen jemals aufs Papier gebracht hat. Verwundert war ich immer über seine Charakterisierung von David Letterman als „angel of death“ oder DFWs Darstellung von Late-Night-Shows, und wiederum von David Letterman im Besonderen, in seiner Erzählung My Appearance in Girl with Curious Hair. Warum nur soviel Abneigung?

YouTube ist mittlerweile das Gedächtnis oder Archiv, das dem Fernsehen gefehlt hat. Und erfreulicherweise kann man nun einen Eindruck bekommen, warum David Letterman die kulturelle Bedeutung zukommt, die durch Nennungen in den Texten eines ernsthaften Schriftstellers angedeutet wird. Seit dem 01.02.22 kann man nämlich bei YouTube sehr sehr viele alte Clips der Late-Night-Show mit David Letterman anschauen und nochmal auf ganz andere Weise Zeit verplempern als früher mit „normalem“ Fernsehen. Enjoy!

Wie angekündigt, nochmal: Über Sprachgebrauch

Wer andere Menschen wegen ihres Sprachgebrauchs kritisiert, ist kein gern gesehener Gast auf Partys. Was bildet er (in den meisten Fällen ist es ein ER) sich ein, darüber zu entscheiden, wie man etwas sagt, sei richtig oder falsch. Diese besondere und besonders unangenehme Form von Pedanterie (oder Pedantismus) wird häufig zurecht als Haarspalterei oder Korinthenkackerei erlebt, als unzulässigen Versuch vonseiten des Pedanten, Haarspalters, Korinthenkackers, Kontrolle auszuüben. Und sicherlich geht es häufig in einem persönlichen Gespräch darum, Kontrolle und Dominanz auszuüben, indem man beweist, es schlicht besser zu wissen, oder mehr darüber nachzudenken als die Durchschnittsperson.

Mit Recht hinterfragt man die Autorität, die jemand auf diese Weise zur Schau stellt, man fragt danach (oder man sollte danach fragen), woher diese Autorität kommt. „Warum bildest gerade Du Dir ein, dass Du Urteile, wahrscheinlich noch Geschmacksurteile, über den Sprachgebrauch anderer fällen darfst?“ Um mit offenen Karten zu spielen, niemand hat mir die Autorität übertragen, über Sprachgebrauch nachzudenken oder zu richten. Es ist Teil meines Berufs, Texte von Studierenden zu lesen und zu bewerten, und zwar nicht bloß hinsichtlich ihrer inhaltlichen Angemessenheit, sondern auch hinsichtlich des sprachlichen Ausdrucks und der Richtigkeit. Das heißt, ich lese nicht nur sehr viel mehr als die Durchschnittsperson, ich lese auch, um eine institutionelle Aufgabe zu erfüllen. „Ja, aber wie kommt man in eine solche Position? Dass man diese Aufgabe erfüllen soll, ist noch kein Argument dafür, die richtige Person zu sein“, merkt niemand zu Recht an. Darauf kann ich nur antworten: Sowohl habe ich ein Buch, einige Aufsätze, Rezensionen und Lexikonartikel geschrieben, d.h. ich verfüge über Erfahrung, wenn es um das Schreiben längerer und kürzerer Texte geht, als auch seit mehr als zehn Jahren in unterschiedlichen Zusammenhängen wissenschaftliches Schreiben und wissenschaftliches Arbeiten gelehrt, so dass ich Urteile auf einem einigermaßen breiten Fundament von Gelesenem stützen kann. Mehr als die Autorität, die diese Tatsachen verbürgen sollen, kann ich nicht anbieten. Mir bleibt, das Vertrauen von Leser*innen (oder Studierenden) nicht zu enttäuschen.

Über die Aspekte persönlicher Erfahrung und institutionell anerkannter Autorität hinaus kann ich noch geltend machen, dass es mich schlicht stört, wenn Sprache schludrig gebraucht wird oder sich Redewendungen und Gebrauchsweisen durchzusetzen scheinen, die mir unsinnig erscheinen. Wenn der Soziologe Niklas Luhmann richtiggelegen hat, dann ist das Gelingen von Kommunikation grundsätzlich unwahrscheinlich. Diese Unwahrscheinlichkeit liegt zum einen in dem unzuverlässigen Mittel der Sprache begründet, zum anderen in dem gedankenlosen Gebrauch dieses Mittels. Versteht man Sprache in Analogie zu einem Musikinstrument wird sofort klar, dass natürlich jede Person einen oder mehrere Töne hervorbringen kann. Sofern man aber nicht gelernt hat, mit dem Instrument auch nur ein wenig umzugehen, solange werden die Töne schief bleiben. Je mehr man aber übt und das Instrument bewusst benutzt, desto besser werden nicht nur einzelne Töne klingen, sondern ganze Tonfolgen. Natürlich gibt es unterschiedliche Grade der Beherrschung eines Instruments. Im Unterschied zur Sprache muss auch niemand ein Instrument spielen können (nicht mal ansatzweise). Sprache aber ist immer um uns und wir sind immer in der Sprache und aus diesem Grund sollte man zumindest versuchen, sich einfach, klar und präzise auszudrücken, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, verstanden zu werden. Ein Sprachgebrauch, der sich weigert, diese minimale Forderung anzuerkennen, ist ärgerlich, weil es respektlos gegenüber Zuhörer*innen und Leser*innen ist. Dabei sind Fehler, etwa Grammatik- oder Rechtschreibfehler, weniger ärgerlich (aber leichter zu vermeiden), als Sprachgewohnheiten, die darauf hindeuten, dass jemand, der schlicht Phrasen wiederholt, die durch ihre Wiederholung hohl werden, oder Worte gebraucht, die so sinnvoll nicht gebraucht werden können, nicht ausreichend darüber nachgedacht hat, was er oder sie so schreibt (oder auch sagt).

Beispiele für solche gedankliche Nachlässigkeit sind die Einleitung von Relativsätzen mit „welcher, welche, welches“ oder die Verwendung des Superlativs von „verschieden“. Beides liest man in studentischen Arbeiten zuhauf und jedes Mal rollt es mir die Fußnägel hoch, warum Studierende das tun. Nehmen wir eine einfach Hauptsatz-Nebensatz-Konstruktion: „Die Frau, die unter uns wohnt, spielt laut Gitarre.“ Studierende schreiben regelmäßig: „Die Frau, welche unter uns wohnt, spielt laut Gitarre.“ Das letztere ist offensichtlich nicht falsch, aber es klingt vollkommen anders, nämlich so, als sollte der entsprechende Sachverhalt durch die Formulierung aufgewertet werden. Für meine lesenden Ohren klingt es hingegen ausschließlich prätentiös. Es gibt auch keinen sachlichen Grund, warum man die Einleitung eines Relativsatzes mit „welcher, welche, welches“ bevorzugen sollte. Keine einzige Studierende, die ich gefragt habe, warum sie das tut, konnte mir einen besseren Grund nennen als: „Das wurde uns im Deutschunterricht so beigebracht.“ Schämen sollten sich die entsprechenden Lehrkäfte.

Warum nun stört mich die Verwendung von „verschieden“ im Superlativ, also etwa „Wir erwägen verschiedenste Mittel, um die Erreichung unseres Quartalsziels sicherzustellen?“ Auch das ist strenggenommen nicht falsch. Was es ist, es ist hinsichtlich der Logik des Wortes und dessen, was es bezeichnen soll, unsinnig. Apfel und Birnen sind verschieden. Sind nun Apfel und Ananas verschiedener als Apfel und Birne? Und ist der Apfel am verschiedensten von der Pitaya, die in Vietnam wächst? Ich denke nicht, denn es handelt sich bei allen Genannten um Früchte, die eigene Namen haben und dementsprechend als verschieden voneinander gekennzeichnet sind. Nimmt man meinen fiktiven Beispielsatz, dann könnte das Unternehmen unter verschiedensten Mitteln sowohl den Wechsel von Lieferanten als auch die Kürzung von Arbeitsplätzen meinen, um etwa Kosten zu senken und so das Quartalsziel erreichen. Die Mittel sind aber eben auch durch ihre Benennung schon verschieden. Meine Vermutung ist, dass die Verwendung von „verschiedenste“ ein Mittel ist, um nicht präzise sagen zu müssen, was gemeint ist. Das ist im Fall von Obst noch harmlos (wenn auch unnötig), im fiktiven Fall einer Unternehmensbekanntmachung aber kann dadurch etwas verschleiert werden. Häufig jedoch ist es schlicht Nachlässigkeit oder eine gewisse Bequemlichkeit im Denken, die dazu führt, so etwas zu übernehmen. Wenn Dinge voneinander verschieden sind, dann genügt das vollkommen. Den Grad dieser Verschiedenheit zu bestimmen, erfordert eben mehr Aufwand als zu sagen „A ist verschiedener als B, aber E ist am verschiedensten.“ Interessant ist doch, worin ein solcher Unterschied exakt besteht.

Wer andere Menschen wegen ihres Sprachgebrauchs kritisiert, ist kein gern gesehener Gast auf Partys. Was bildet er (in den meisten Fällen ist es ein ER) sich ein, darüber zu entscheiden, wie man etwas sagt, sei richtig oder falsch. Diese besondere und besonders unangenehme Form von Pedanterie (oder Pedantismus) wird häufig zurecht als Haarspalterei oder Korinthenkackerei erlebt, als unzulässigen Versuch vonseiten des Pedanten, Haarspalters, Korinthenkackers, Kontrolle auszuüben. Und sicherlich geht es häufig in einem persönlichen Gespräch darum, Kontrolle und Dominanz auszuüben, indem man beweist, es schlicht besser zu wissen, oder mehr darüber nachzudenken als die Durchschnittsperson.

Mit Recht hinterfragt man die Autorität, die jemand auf diese Weise zur Schau stellt, man fragt danach (oder man sollte danach fragen), woher diese Autorität kommt. „Warum bildest gerade Du Dir ein, dass Du Urteile, wahrscheinlich noch Geschmacksurteile, über den Sprachgebrauch anderer fällen darfst?“ Um mit offenen Karten zu spielen, niemand hat mir die Autorität übertragen, über Sprachgebrauch nachzudenken oder zu richten. Es ist Teil meines Berufs, Texte von Studierenden zu lesen und zu bewerten, und zwar nicht bloß hinsichtlich ihrer inhaltlichen Angemessenheit, sondern auch hinsichtlich des sprachlichen Ausdrucks und der Richtigkeit. Das heißt, ich lese nicht nur sehr viel mehr als die Durchschnittsperson, ich lese auch, um eine institutionelle Aufgabe zu erfüllen. „Ja, aber wie kommt man in eine solche Position? Dass man diese Aufgabe erfüllen soll, ist noch kein Argument dafür, die richtige Person zu sein“, merkt niemand zu Recht an. Darauf kann ich nur antworten: Sowohl habe ich ein Buch, einige Aufsätze, Rezensionen und Lexikonartikel geschrieben, d.h. ich verfüge über Erfahrung, wenn es um das Schreiben längerer und kürzerer Texte geht, als auch seit mehr als zehn Jahren in unterschiedlichen Zusammenhängen wissenschaftliches Schreiben und wissenschaftliches Arbeiten gelehrt, so dass ich Urteile auf einem einigermaßen breiten Fundament von Gelesenem stützen kann. Mehr als die Autorität, die diese Tatsachen verbürgen sollen, kann ich nicht anbieten. Mir bleibt, das Vertrauen von Leser*innen (oder Studierenden) nicht zu enttäuschen.

Über die Aspekte persönlicher Erfahrung und institutionell anerkannter Autorität hinaus kann ich noch geltend machen, dass es mich schlicht stört, wenn Sprache schludrig gebraucht wird oder sich Redewendungen und Gebrauchsweisen durchzusetzen scheinen, die mir unsinnig erscheinen. Wenn der Soziologe Niklas Luhmann richtiggelegen hat, dann ist das Gelingen von Kommunikation grundsätzlich unwahrscheinlich. Diese Unwahrscheinlichkeit liegt zum einen in dem unzuverlässigen Mittel der Sprache begründet, zum anderen in dem gedankenlosen Gebrauch dieses Mittels. Versteht man Sprache in Analogie zu einem Musikinstrument wird sofort klar, dass natürlich jede Person einen oder mehrere Töne hervorbringen kann. Sofern man aber nicht gelernt hat, mit dem Instrument auch nur ein wenig umzugehen, solange werden die Töne schief bleiben. Je mehr man aber übt und das Instrument bewusst benutzt, desto besser werden nicht nur einzelne Töne klingen, sondern ganze Tonfolgen. Natürlich gibt es unterschiedliche Grade der Beherrschung eines Instruments. Im Unterschied zur Sprache muss auch niemand ein Instrument spielen können (nicht mal ansatzweise). Sprache aber ist immer um uns und wir sind immer in der Sprache und aus diesem Grund sollte man zumindest versuchen, sich einfach, klar und präzise auszudrücken, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, verstanden zu werden. Ein Sprachgebrauch, der sich weigert, diese minimale Forderung anzuerkennen, ist ärgerlich, weil es respektlos gegenüber Zuhörer*innen und Leser*innen ist. Dabei sind Fehler, etwa Grammatik- oder Rechtschreibfehler, weniger ärgerlich (aber leichter zu vermeiden), als Sprachgewohnheiten, die darauf hindeuten, dass jemand, der schlicht Phrasen wiederholt, die durch ihre Wiederholung hohl werden, oder Worte gebraucht, die so sinnvoll nicht gebraucht werden können, nicht ausreichend darüber nachgedacht hat, was er oder sie so schreibt (oder auch sagt).

Beispiele für solche gedankliche Nachlässigkeit sind die Einleitung von Relativsätzen mit „welcher, welche, welches“ oder die Verwendung des Superlativs von „verschieden“. Beides liest man in studentischen Arbeiten zuhauf und jedes Mal rollt es mir die Fußnägel hoch, warum Studierende das tun. Nehmen wir eine einfach Hauptsatz-Nebensatz-Konstruktion: „Die Frau, die unter uns wohnt, spielt laut Gitarre.“ Studierende schreiben regelmäßig: „Die Frau, welche unter uns wohnt, spielt laut Gitarre.“ Das letztere ist offensichtlich nicht falsch, aber es klingt vollkommen anders, nämlich so, als sollte der entsprechende Sachverhalt durch die Formulierung aufgewertet werden. Für meine lesenden Ohren klingt es hingegen ausschließlich prätentiös. Es gibt auch keinen sachlichen Grund, warum man die Einleitung eines Relativsatzes mit „welcher, welche, welches“ bevorzugen sollte. Keine einzige Studierende, die ich gefragt habe, warum sie das tut, konnte mir einen besseren Grund nennen als: „Das wurde uns im Deutschunterricht so beigebracht.“ Schämen sollten sich die entsprechenden Lehrkäfte.

Warum nun stört mich die Verwendung von „verschieden“ im Superlativ, also etwa „Wir erwägen verschiedenste Mittel, um die Erreichung unseres Quartalsziels sicherzustellen?“ Auch das ist strenggenommen nicht falsch. Was es ist, es ist hinsichtlich der Logik des Wortes und dessen, was es bezeichnen soll, unsinnig. Apfel und Birnen sind verschieden. Sind nun Apfel und Ananas verschiedener als Apfel und Birne? Und ist der Apfel am verschiedensten von der Pitaya, die in Vietnam wächst? Ich denke nicht, denn es handelt sich bei allen Genannten um Früchte, die eigene Namen haben und dementsprechend als verschieden voneinander gekennzeichnet sind. Nimmt man meinen fiktiven Beispielsatz, dann könnte das Unternehmen unter verschiedensten Mitteln sowohl den Wechsel von Lieferanten als auch die Kürzung von Arbeitsplätzen meinen, um etwa Kosten zu senken und so das Quartalsziel erreichen. Die Mittel sind aber eben auch durch ihre Benennung schon verschieden. Meine Vermutung ist, dass die Verwendung von „verschiedenste“ ein Mittel ist, um nicht präzise sagen zu müssen, was gemeint ist. Das ist im Fall von Obst noch harmlos (wenn auch unnötig), im fiktiven Fall einer Unternehmensbekanntmachung aber kann dadurch etwas verschleiert werden. Häufig jedoch ist es schlicht Nachlässigkeit oder eine gewisse Bequemlichkeit im Denken, die dazu führt, so etwas zu übernehmen. Wenn Dinge voneinander verschieden sind, dann genügt das vollkommen. Den Grad dieser Verschiedenheit zu bestimmen, erfordert eben mehr Aufwand als zu sagen „A ist verschiedener als B, aber E ist am verschiedensten.“ Interessant ist doch, worin ein solcher Unterschied exakt besteht.

Über Sprachgebrauch

Vielleicht ist dies der Auftakt zu einer Folge von Einträgen zu Sprachgebrauch.

Über Sprachgebrauch nachzudenken, ist Arbeit, und zwar durchaus in dem Sinne, den man dem Wort Arbeit früher gegeben hat, eine körperlich mühsame Tätigkeit, die nur wenig Früchte bringt, und wie die meiste Arbeit, die nicht als körperliche Tätigkeit wahrgenommen wird, nicht wirklich als Arbeit zählt. Die meisten Menschen, sofern sie nicht aufgrund ihres Berufes mit Sprache beschäftigt sind, kümmern sich auch (zu Recht?) nicht um ihren eigenen Sprachgebrauch. Linguisten versichern einem ja – wenn man unvorsichtigerweise fragt –, dass es so etwas wie richtigen Sprachgebrauch nicht gebe, und merken darüber hinaus an, für sie als Wissenschaftler spielten Fragen nach richtigem oder falschem Sprachgebrauch keine Rolle. Ihre Aufgabe bestehe ausschließlich in der Beschreibung von Sprachgebrauch und dem sich vollziehenden Wandel innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Offensichtlich stimmt diese Aufgabenbeschreibung nicht mit der Praxis des Linguisten überein, insbesondere dann nicht, wenn er bzw. sie an einer Universität lehrt. Ohne allzu haarspalterisch sein zu wollen, wäre der Verzicht auf Kriterien des richtigen Sprachgebrauchs kaum durchzuhalten, da die Kenntnis der besonderen Fachsprache, die in der Linguistik gesprochen und benutzt wird, maßgeblich zum Studienerfolg und weitergehend zum Erfolg innerhalb der linguistischen Fachgemeinschaft beiträgt. „Jaha, aber hier geht es um eine wissenschaftliche Fachsprache, ansonsten sollen die Leute reden, wie ihnen die Schnäbel gewachsen sind!“, hört man niemanden unterbrechen. Aber auch das ist nicht ganz ehrlich. Natürlich lässt sich fachspezifisches Vokabular lernen, aber die Güte eines Textes – Hausarbeit oder Artikel – hängt nicht allein, noch nicht einmal hauptsächlich davon ab, dass man Begriffe kennt und auf die entsprechenden Phänomene korrekt anwenden kann. Vielmehr zeichnet sich ein Text dadurch aus, wie viel Lesearbeit es erfordert, einer Argumentation zu folgen, und um zu erreichen, dass sich die Lesearbeit nicht in unnötige Mühe und/oder Ärger verwandelt, spielen sehr viel weichere Kriterien eine Rolle, die man unter sprachliche Gestaltung, Ausdruck oder eben Sprachgebrauch fassen kann.

Nun bin ich, regelmäßig von Phasen der Erwerbslosigkeit unterbrochen, immer mal wieder an einer Universität angestellt und entsprechend in die akademische Lehre eingebunden. Zu meinen Aufgaben gehört(e) u.a. die Korrektur und Bewertung von Hausarbeiten und Abschlussarbeiten (B.A., M.A., Staatsexamen). Und was ich dabei regelmäßig zu lesen bekomme, ist wenig erfreulich, weil es unnötig mühsam zu lesen und voller Fehler ist. Da ich derzeit in der Lehrer*innenausbildung eingesetzt bin, empfinde ich den Mangel an Ausdrucksfähigkeit und den Mangel an grammatischem und orthografischen Wissen als ärgerlich, zeitweise als schockierend. Natürlich könnte ich jetzt an dem sehr deutschen Spiel teilnehmen, das Bildungssystem und, genauer, den Deutschunterricht als Verantwortliche zu identifizieren. Das soll nicht heißen, dass ich das nicht so sehe – denn natürlich sind heutige Deutschlehrer*innen dafür verantwortlich – aber es wäre zu einfach, in ihnen die alleine Verantwortlichen zu sehen. Schulen sind der institutionelle Ausdruck dessen, was eine Gesellschaft in einem bestimmten Zeitraum für wichtig hält, und gerade deswegen sind sie ihrer Anlage nach konservativ, auch in einem politischen Sinne. Diese politische Dimension von Schulen als Institutionen überhaupt anzuerkennen, ist vielen Menschen nicht möglich, da sie darauf beharren bzw. an der Vorstellung festhalten möchten, Schulen seien neutrale Orte der Vermittlung von Wissen und praktischen sowie sozialen Fähigkeiten. Warum es zu dieser Verdrängung kommt, ist eine interessante Frage, aber führt mich gerade zu weit weg. Dass aber Schule und Sprachgebrauch unmittelbar zusammenhängen und somit die Frage nach richtigem oder falschem Sprachgebrauch eine politische Bedeutung bekommt, sollte einleuchten, sofern man die Prämisse Schule als Ausdruck eines politischen Selbstverständnisses akzeptiert (sowohl der Umstand, dass es eine Interessenvertretung wie den Deutschen Philologenverband gibt, der versucht, die entsprechende Bildungspolitik der Länder zu beeinflussen, als auch die Tatsache, dass es einen eigenen Bereich der Bildungspolitik gibt, die je nach Partei anders gestaltet wird, zeigen, dass die Idee Schule sei unpolitisch, abwegig ist).

Wie dem auch sei: Wo lernt man also den richtigen Sprachgebrauch? Wenn nicht im Elternhaus, dann wohl in der Schule. Vielleicht ist aber angemessener davon zu sprechen, dass man lernt, bestimmte Fehler und Ausdrucksweisen zu vermeiden, weniger eine bestimmte Art des richtigen Sprechens und, für mich entscheidender, Schreibens. Dabei habe ich mich als Schüler nie gefragt (oder dafür interessiert), woher die richtige Schreibweise eines Wortes kommt (oder wer festlegt, was die richtige Schreibweise ist). Und ich wäre auch jetzt ratlos, fragte man mich, woher die Schreibweise eines Wortes kommt. Immerhin könnte ich aber die Frage beantworten, welche Aufgabe eine einheitliche Schreibweise erfüllen soll bzw. erfüllt. Damit ist nicht gesagt, dass es die richtige Antwort ist – wie auch immer die Kriterien für Richtigkeit in diesem Fall genau aussähen. Damit ist nur gesagt, dass die Antwort plausibel ist und den Vorteil mitbringt, auf andere Bereiche von Sprachgebrauch angewendet werden zu können.

Warum also auf die richtige Schreibweise eines Wortes Wert legen? Liest man einen Text, unabhängig davon, ob man Informationen bekommen möchte oder unterhalten werden will, bringt man Energie und Zeit auf. Und der Aufwand an Energie und Zeit würde deutlich zunehmen, fragte man sich durchgehend, welches Wort denn an dieser Stelle gemeint ist. Das heißt, orthografisch korrekt zu schreiben, bedeutet, eine Leistung zu erbringen, die es einer Leser*in erleichtert mit weniger Energie und Aufwand, die man fürs Lesen eines Textes sowieso schon bereit ist aufzubringen, das, was der Text sagen oder ausdrücken will, zu verstehen. Es ist also mithin sowohl im Interesse der Person, die etwas schreibt, als auch im Interesse der Person, die das Geschriebene liest, diese Regeln zu beachten. Dasselbe Argument trifft auch für die argumentative Struktur und den schriftsprachlichen Ausdruck zu, mit dem entscheidenden Unterschied, dass die entsprechenden Regeln nicht bekannt sind (etwa hinsichtlich des Aufbaus einer Argumentation) oder die entsprechenden Regeln nur schwierig zu bestimmen sind (etwa wenn eine Metapher „falsch“ benutzt wird). Unabhängig vom konkreten Text sollte es aber ein Gebot sein, sich in einer Weise auszudrücken, die es Leser*innen ermöglicht, einen Text ohne unnötigen Aufwand an Energie und Zeit zu verstehen.