Auf meiner externen Festplatte habe ich folgendes Manuskript gefunden, das ich (glaube ich) im Rahmen eines studentisch organisierten Workshops an der TU Dortmund gehalten habe. Woran ich mich noch erinnere ist, dass es mir Spaß gemacht hat, den Text zu schreiben; was fehlt sind die Film- bzw. Serien-Stills. Ich hoffe, man kann dem Text dennoch folgen. Wie immer bei Manuskripten wurde der Text nicht für eine „offizielle“ Veröffentlichung überarbeitet; sämtliche Fehler oder Ungereimtheiten oder argumentativen Schwächen wären (hoffentlich) von mir bereinigt worden. Vielleicht gibt es ja Leser*innen, denen es gefällt.
- Kritik
Glaubt man Tim Goodman, dem Fernsehkritiker des San Francisco Chronicle, dann handelt es sich bei Spartacus: Blood and Sand sehr wahrscheinlich um die schlechteste Serie der letzten zehn Jahre.
An early – and leading – candidate for worst series of the decade is „Spartacus: Blood and Sand,“ […].How the creators managed to mess up three known winners – gladiators, full-frontal nudity (both sexes) and stylized violence – is almost incomprehensible. If you were thinking this might be a cousin to „Rome“ on HBO, think again. „Spartacus“ even makes the vapid but visually intriguing „300“ seem like Shakespeare. Honestly, this series might appeal to teenage boys strangely attracted to Venice Beach, steroids and blood porn, but anyone else past the sophomore year of high school should steer very clear.
Robert Lloyd, Fernsehkritiker der Los Angeles Times, urteilt weniger hart; im Gegenteil erkennt er sogar das Bemühen um eine historische Darstellung:
It is a little bloody for my taste, personally.
Still, in between the rumbles in the arena and the rumbles in the bedroom, it’s a fairly talky show, the dialogue seasoned with word inversions that signify the classical world to the modern ear — „What purpose requires it?“ and such.
Hank Stuever von der Washington Post bringt dann den unvermeidlichen Vergleich zu Spartacus von Stanley Kubrick, wobei auch er durchaus den Reiz von Blood and Sand anerkennt:
But, oh, this Spartacus. It’s deliciously, marvelously bad, and I was helpless in its grip. It’s a long way from Kubrick, but what isn’t?
Leider geht Hank Stuever nicht näher darauf ein, inwiefern Kubricks Spartacus so viel besser als Blood and Sand sei. Wichtig ist an dieser Stelle, dass Kubricks Spartacus als Maßstab der Beurteilung gewählt wurde. Ob der Vergleich allerdings sinnvoll gewählt ist, ist eine andere Frage. Bei Blood and Sand handelt es sich immerhin um eine Fernsehserie, die somit nicht nur anderen Produktionsbedingungen, sondern als populärkulturelles Artefakt auch anderen Bewertungskriterien unterliegt (Paige Wiser etwa betont den Unterhaltungscharakter der Serie, wenn sie schreibt: „There’s no denying that stylized decapitations are entertaining, especially when accompanied by a generous helping of soft porn“). Und auch Kubricks Film ist vielfach kritisiert worden, nicht zuletzt vom Regisseur selbst. Folgerichtig versuchen etwa Georg Seeßlen und Fernand Jung in ihrer Monographie über Kubrick, den Film sowohl in der Genregeschichte als auch im Werkkontext zu verankern, indem sie ein alle Filme Kubricks verbindendes Grundthema ausmachen.
Kubrick untersucht auch hier die Freiheit des Menschen in ihrer Beziehung zur Maschinerie der Macht, der Maschinerie der Geschichte, und sein Held ist deswegen so viel schwerwiegender als der des klassischen Kostümfilms ebenso wie der politisch-historischen Fabel, weil er, zu einem großen Teil auch ganz körperlich, diesen philosophischen Widerspruch ausleben muß, mit eben jener Kubrickschen Konsequenz, die ihn über die Konstruktion von Sieg und Niederlage noch hinausführt. (Seeßlen/Jung 2001, S. 114)
Versteht man wie Seeßlen und Jung Kubricks Film auch als einen Versuch, ein philosophisches Dilemma filmisch zu verhandeln, dann wird man wohl zustimmen, dass es sich beim Film Spartacus um das kulturell wertvollere oder anerkanntere Objekt handelt, während die Fernsehserie Blood and Sand bloße Unterhaltung bereithält. (Dass eine solche Zustimmung vor allem banal ist, da sie ein Deutungsmuster wiederholt, das den kanonischen Auteur-Regisseur gegenüber der Fernsehserie nobilitiert, kann an dieser Stelle vernachlässigt werden.)
Unabhängig davon also, ob man den zitierten Werturteilen oder der Interpretation zustimmen mag, soll es im Folgenden darum gehen, nach den Bedingungen zu fragen, die solchen Äußerungen vorangehen. Entlang einer kurzen Geschichte des Begriffs der Wahrscheinlichkeit soll analysiert werden, was es überhaupt heißt, eine filmische Darstellung von Geschichte als der Geschichtlichkeit des Stoffes angemessen zu verstehen. Zu diesem Zweck wird ein Umweg über die Literatur genommen, da sich diese Problematik, d.h. die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, schon lange bevor sie ein Problem filmischer Darstellung geworden ist, am historischen Roman entzündet hat. Danach werde ich die jeweiligen filmischen Bilder des Spartacus-Stoffes miteinander vergleichen, um zu zeigen, welche Strategien benutzt werden, um den Eindruck historischer Wahrscheinlichkeit zu produzieren. Die Wahrscheinlichkeit filmischer Geschichtsbilder ist allerdings nicht nur das Ergebnis eines Gestaltungswillen auf Seiten des Autors bzw. der jeweiligen Film- und Fernsehschaffenden, sondern mindestens auch ein Rezeptionseffekt auf Seiten der Zuschauer, die das Dargestellte vor dem Hintergrund ihres Wissens über die Geschichte sowie ihrer Erfahrungen mit anderen Darstellungen von Geschichte prüfen und bewerten. Es wird deutlich werden, dass Wahrscheinlichkeit, genauso wie verwandte Konzepte wie Ähnlichkeit, Angemessenheit oder Authentizität, nicht etwas bezeichnen, das einer Darstellung einfach zukommt, sondern dass sie vielmehr das Ergebnis einer diskursiven Verhandlung sind, deren Implikationen zu analysieren sind.
- Flauberts Ärger
Gustave Flauberts Roman Salammbô erzählt vom Söldneraufstand gegen Karthago 241-238 v. Chr. Der Handlungsverlauf des Romans orientiert sich grob an den militärgeschichtlichen Fakten des Konflikts, wie sie von Polybios in seiner Historia berichtet werden. Im Zentrum der Handlung steht die Liebesbeziehung zwischen dem Söldnerführer Mathô und der Tochter des karthagischen Heerführers, Salammbô, die von Polybios allerdings nur beiläufig erwähnt wird. Die Erweiterung des militärischen Konflikts um die Dimension persönlicher Verwicklungen deutet auf die Änderungen bzw. Erweiterungen hin, die Flaubert am historischen Material vorgenommen hat. Es waren diese Änderungen, die die Kritik herausgefordert haben. Hier zeigt sich allerdings, dass Kritik an der Gattung des historischen Romans immer schon eine doppelte war.
In beinahe jeder Arbeit zum historischen Roman findet sich, bevor der Versuch unternommen wird, Merkmale oder eine Definition der Gattung festzulegen, der Hinweis auf die konventionelle Kritik, von der der historische Roman seit seiner Grundlegung betroffen ist.[1] Dabei zielt diese Kritik auf einen doppelten Mangel: Da der historische Roman für die Darstellung einer spezifischen historischen Wirklichkeit auf außerliterarisches Material angewiesen ist und zwangsläufig darauf zurückgreifen muss, gilt er vor dem Hintergrund autonomieästhetischer Vorstellungen als mangelhaft. Der Anteil schöpferischer Imagination, die Leistung des Dichters also, sei in den Augen der Kritiker gering, orientiere er sich doch für seine Darstellung an bloß gefundenem Material. Da sein Produktionsprozess externen Faktoren gehorche, erfülle der historische Roman auf rezeptionstheoretischer Ebene vor allem das Unterhaltungsbedürfnis der Leser. Sein ästhetischer Mangel manifestiere sich in seiner angeblichen Trivialität. Diese Kritik ist das Ergebnis einer Kontroverse zwischen Geschichtswissenschaft und Literatur, in deren Verlauf versucht worden ist, die Grenzlinie zwischen den beiden Bereichen zu festigen und für Übergriffe undurchlässig zu machen.
Von wissenschaftlicher Seite betrachtet, zeichne die Gattung sich einer gängigen Meinung zufolge durch ihren mangelhaften, d.h. die wissenschaftsspezifischen Standards ignorierenden Umgang aus. Da sich der Dichter nicht der Mühe eines quellenkritischen Studiums unterwerfe, habe er zur Erkenntnis der Vergangenheit nichts beizutragen. Schlimmer noch, indem er dem Leser den Eindruck vermittle, dass es so gewesen sein könnte, stifte er zusätzlich Verwirrung. Vor allem der Archäologe Guillaume Froehner hat sich an der Verwendung bzw. Missachtung von Quellen durch Flaubert gestoßen, wodurch sich der Autor gezwungen sah mit einem ausführlichen Brief am 21. Januar 1863 zu antworten. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Kritik Froehners sowie Flauberts Reaktion zu rekonstruieren. Hinsichtlich der Frage nach dem Problem der Wahrscheinlichkeit nur so viel: Da der verfügbare Bestand an zuverlässigem historischen Material eher begrenzt war, verfiel Flaubert auf die Idee, andere Zeugnisse zu nutzen, um eine angemessene Darstellung des karthagischen Alltags, der unterschiedlichen Religionen und ihrer Riten sowie der Kleidung und der Architektur zu erreichen. Flauberts Methode bestand darin, fehlendes authentisches Material durch »analoge Belege aus anderen Kulturbereichen und anderen Epochen« zu ersetzen. Inwiefern ein solches Vorgehen legitim ist oder nicht, soll hier nicht weiter erörtert werden. Wichtig ist, dass Flaubert an einer Stelle seines Briefes schreibt:
Ich besitze freilich keinen Text, um Ihnen zu beweisen, daß es eine Straße der Gerber, der Parfummacher, der Färber gab. Sie müssen aber zugeben, daß es jedenfalls eine sehr wahrscheinliche Hypothese ist.
Zwei Dinge sind bemerkenswert an dieser Stelle: Erstens, die Entgegensetzung von Wahrscheinlichkeit und Wahrheit bzw. Evidenz; zweitens, die implizite Annahme, dass durch die bis zu diesem Zeitpunkt in dem Brief von Flaubert geführte Argumentation sowie die fiktionale Darstellung im Roman der Kontext markiert wird, in dem „eine Straße der Gerber, der Parfummacher, der Färber“ wahrscheinlich werden kann. Die wahrscheinliche Erfindung erscheint somit als Gegenteil einer wissenschaftlichen, beweisbaren Tatsache und als Ergebnis einer Konstruktion, die das Dargestellte wahrscheinlich macht bzw. machen soll.
Vor diesem Hintergrund erweist sich ein Brief an Sainte-Beuve als aufschlussreich, der Flauberts Roman ebenfalls in einer Rezension hinsichtlich der historischen Details kritisiert hatte. Zwar betont Flaubert gegenüber Sainte-Beuve, er habe ›keineswegs ein phantastisches Karthago‹ geschaffen; bezogen auf seinen Roman sei die Frage nach der Authentizität des von ihm geschaffenen Karthagos jedoch im Grunde gleichgültig:
Vielleicht haben Sie mit ihren Betrachtungen über den auf die Antike angewandten historischen Roman recht, und es ist sehr gut möglich, daß ich damit gescheitert bin. Doch nach allen Wahrscheinlichkeiten [vraisemblances] und nach meinen eigenen Eindrücken glaube ich etwas zustandegebracht zu haben, was Karthago ähnlich ist. Doch liegt da nicht das Problem. Die Archäologie ist mir gleichgültig. Wenn die Farbe nicht einheitlich ist, wenn die Einzelheiten nicht zusammenpassen, wenn die Sitten sich nicht aus der Religion herleiten und die Fakten nicht aus den Leidenschaften, wenn die Charaktere nicht folgerichtig, wenn die Kostüme den Gebräuchen nicht angemessen sind und die Architektur nicht dem Klima, wenn, in einem Wort, keine Harmonie entsteht, so habe ich unrecht. Sonst jedoch nicht! Alles hängt miteinander zusammen.
In Flauberts Antwort auf Sainte-Beuves Kritik werden nun weitere Merkmale des Wahrscheinlichkeitskonzepts offenbar. Deutlich wird, dass Flauberts ›wahrscheinliches‹ Karthago nicht wissenschaftlich korrekt sein muss; vielmehr muss auf der Ebene der fiktionalen Darstellung eine ›Harmonie‹ zwischen den einzelnen Elementen, sowohl fiktiv als auch real, also eine interne Plausibilität und Widerspruchsfreiheit, hergestellt werden. Damit ändert sich der Status der in den Text eingefügten Realien: Diese dienen zunächst als Markierung eines faktualen Zusammenhangs, in den dann fiktive Elemente integriert werden können, die nicht notwendig wahr sein müssen. Sie müssen sich allerdings so einfügen, dass sie wenigstens nicht mit den realen Anteilen in Widerspruch geraten. Am besten ist es sogar, wenn sie durch ihre Hinzufügung zum realen Material für wirklich gehalten werden können. In dieser Hinsicht sind sie stets fiktiv und niemals unwahr.
Der ästhetische Zusammenhang, die von Flaubert angestrebte ›Harmonie‹ zwischen den Elementen, schützt den Autor und den Leser vor im wissenschaftlichen Sinne explizit falschen Darstellungen, da die in ästhetischer Hinsicht gelungene historische Darstellung keine gravierenden Fehler zulässt, sonst würde sie nämlich ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Es gibt demnach sowohl auf produktionsästhetischer Ebene den Anspruch, etwas Wahrscheinliches zu schaffen, als auch auf rezeptionsästhetischer Ebene. Die Harmonie der Darstellung und des Dargestellten muss vom Leser anerkannt werden und dies gelingt wiederum am ehesten, wenn die eigenen Erfahrungen mit dem Dargestellten übereinstimmen bzw. das Dargestellte der Erfahrung nicht widerspricht. Hinsichtlich des Lesers und seinem Willen, der Darstellung zu glauben, enthält der Begriff der Wahrscheinlichkeit die Komponente der ›Erfahrungsverträglichkeit‹ (Seiler). Diese Erfahrungsverträglichkeit umfasst sowohl faktisches Wissen als auch Erfahrung im Umgang mit historischen oder historisierenden Darstellungen und ist gleichsam historisch vorgebildet und diskursiv hergestellt.
- Wahrscheinlichkeit und Realitätseffekt
Die Forderung danach, dass eine Darstellung, die auf einem historischen Stoff basiert, wahrscheinlich sein müsse, stellt den historischen Roman in die literarische Tradition des Realismus. Wenn es der Geschichtswissenschaft darum geht, zu sagen, wie es wirklich gewesen ist, so gilt für die historisch-realistische Literatur, dass sie sagen solle, wie es wirklich gewesen sein könnte. Zu diesem Zweck bedient sich die Literatur verschiedener Darstellungsstrategien, die gewährleisten sollen, dass der Leser das Erzählte für wahrscheinlich und somit glaubhaft hält. Drei Strategien stehen dabei im Vordergrund, die unter anderen medialen Vorzeichen auch für die filmische Repräsentation von Geschichte genutzt werden. Auf der Ebene der Diegese zeichnen sich historische Romane (aber auch realistische) durch das Bemühen aus, psychologische Kohärenz herzustellen, d.h. die jeweiligen Handlungen der einzelnen Figuren sowohl auf der charakterlichen als auch auf der historischen Ebene einheitlich und somit wahrscheinlich zu gestalten. Die Handlungen eines Heerführers etwa müssen sowohl im Einklang mit der allgemeinen Plotführung stehen als auch mit den Erfordernissen des gewählten historischen Stoffes. Als zweite Darstellungsstrategie kann die ausführliche Beschreibung von Kleidung, Städten, Waffen, Riten etc. identifiziert werden. Der Umfang der oft langatmigen Schilderungen zahlreicher historischer Romane ist häufig das Ergebnis eines detailversessenen Beschreibungswillens, der narrativ die Funktion hat, dem Leser die Vergangenheit ›vor Augen zu führen‹. Eine letzte Darstellungsstrategie betrifft die Übersetzung der Vergangenheit. Gemeint ist damit der Umstand, dass eine vergangene Epoche zum Sprechen gebracht werden soll; ein Unterfangen, das umso schwieriger wird, je weiter die repräsentierte Vergangenheit zurückliegt.
In der Dedicatory Epistle zu Walter Scotts Roman Ivanhoe geht der fiktive Herausgeber des Textes auf dieses Problem ein, indem er an den Dichter Thomas Chatterton erinnert, der in einem künstlichen mittelalterlichen Dialekt Gedichte geschrieben hatte, die von den Lesern allerdings nicht mehr verstanden wurden.
In order to give his language the appearance of antiquity, he rejected every word that was modern, and produced a dialect entirely different from any that had ever been spoken in Great Britain. He who would imitate an ancient language with success, must attend rather to its grammatical character, turn of expression, and mode of arrangement, than labour to collect extraordinary and antiquated terms, which, […], do not in ancient authors approach the number of words still in use, though perhaps somewhat altered in sense and spelling, in the proportion of one to ten. (Scott: Ivanhoe, S. 19)
Entscheidend ist demnach nicht, auf sämtliche ›antiquierten‹ Wörter zu verzichten, sondern sie im richtigen Verhältnis zu verwenden sowie eine Annäherung an vergangene grammatische und syntaktische Eigenheiten zu versuchen. Im Falle von Walter Scotts Ivanhoe stellte sich dem Autor zusätzlich das Problem, dass der Grundkonflikt zwischen Normannen und Sachsen für die zeitgenössischen Leser nur angemessen geschildert werden könne, wenn man die Dialoge in Englisch verfassen würde, und nicht, wie es historisch richtig gewesen wäre, in Angelsächsisch und Normannisch.
Die drei vorgestellten Darstellungsstrategien zur Produktion von Wahrscheinlichkeit stellen eine Art Fortführung des Konzepts des ›Wirklichkeitseffekts‹ dar, wie er von Roland Barthes zum ersten Mal formuliert worden ist. Allerdings hat Barthes dieses Konzept zunächst am Beispiel realistischer Literatur entwickelt. Dabei kann man davon ausgehen, dass sämtliche fiktionalen Genres, ob realistisch, historisch oder sogar Science-Fiction, diesen spezifischen Effekt erzielen können. Und, so könnte man noch weitergehend formulieren, das Gleiche, was Barthes für die Literatur festgehalten hat, gilt unter anderen medialen Voraussetzungen auch für die filmische Repräsentation.
Anders als die Literatur, die konventionell nur aus einem Zeichensystem besteht – der Sprache bzw. genauer der Schrift –, gilt es beim Film bzw. der filmischen Darstellung zwischen verschiedenen Zeichensystemen zu unterscheiden. Dabei bietet es sich zunächst an, ein grobes Raster vorzulegen, das zunächst die visuellen Zeichen von den akustischen Zeichen unterscheidet (letztere sollen im Folgenden unbeachtet bleiben, da man daraus einen eigenen Vortrag machen könnte; nur soviel: das Sounddesign und der Soundtrack sind natürlich auch daran beteiligt, dass eine Darstellung wahrscheinlich, glaubhaft, wirklich wirkt. Man stelle sich etwa einen ritterlichen Zweikampf vor, der mit den Lichtschwertgeräuschen aus Star Wars unterlegt worden ist. Hinsichtlich des Soundtracks mag man etwa an Marie Antoinette denken, der ja aus zeitgenössischen Pop- und Rock-Songs besteht; Coppolas Film möchte ja auch nicht historisch akkurat sein, sondern bricht sehr bewusst mit dem historischen Stoff). Die visuellen Zeichen einer filmischen Darstellung umfassen etwa die Kostüme, die Set-Bauten, die Schauspieler, die Farben, den Einsatz von Spezialeffekten, wie Green Screen, oder auch bei historischen Stoffen, die Einblendung von Daten und Orten. Diese Zeichen sind auf der Bildebene dafür verantwortlich, dass eine historische Darstellung ge- oder misslingt. Gleichzeitig bilden sie das literarische Äquivalent zur Darstellungsstrategie der Beschreibung: was in einem literarischen Text beschrieben wird, kann in der filmischen Darstellung einfach ins Bild gesetzt werden. Dieses Ins-Bild-Setzen unterliegt offensichtlich auch dem Gebot der Widerspruchsfreiheit: ein Bild, das etwa durch die Angabe eines Zeitpunkts, etwa 1789, darf, sofern die Wahrscheinlichkeit der folgenden Handlung gewahrt bleiben, kein Flugzeug zeigen. Allerdings, und das ist merkwürdig, kann das Bemühen um historische Wahrheit gerade auch die Künstlichkeit der Darstellung und des Dargestellten bewirken (bspw. bei Kubricks Barry Lyndon mündl. Ausführen; Kerzenschein).
Vom akustischen und visuellen Zeichensystem kann dann noch die narrative Ebene unterschieden werden, die das Ergebnis sowohl der Handlungen und Dialoge zwischen den einzelnen Figuren als auch der Montage ist. Diese drei Ebenen gilt es bei der Analyse einer filmischen Repräsentation im Blick zu halten. Dabei soll im nun folgenden Vergleich der Bilder von Kubricks Film Spartacus und der TV-Serie Spartacus: Blood and Sand vor allem die Frage interessieren, welche visuellen Zeichenelemente der Herstellung von Wahrscheinlichkeit dienen. (In diesem Zusammenhang ist die Frage nach der jeweiligen Handlungsführung zweitrangig; in beiden Fällen handelt es sich um eine Heldengeschichte, wobei Kubricks Film durchaus versucht, die Figur des Spartacus und den von ihm angeführten Sklavenaufstand auf die politische Situation im Senat in Rom zu beziehen, während die Serie Blood and Sand die Figur des Spartacus vor allem als Individuum zeigt, das sich wegen eines Verrats rächen und seine Ehefrau wiederfinden möchte. Auch ein anderes narratives Element bleibt im Folgenden unbeachtet, und zwar die Dialoge. Um den Zuschauern die Handlung klar zu machen, sprechen sämtliche Figuren in Spartacus und in Blood and Sand die gleiche Sprache, was insofern bemerkenswert ist, da in der Gladiatorenschule Männer aus verschiedenen Völkern aufeinandertreffen, deren gemeinsame Sprache nicht modernes Englisch gewesen sein wird. Beide Spartacus-Produktionen bedienen sich etwa des Hilfsmittels der Wortumstellung, wodurch eine veraltete Sprechweise imitiert werden soll. Bei Blood and Sand werden zudem wiederholt lateinische Wörter wie „dominus“ oder „ludus“ in die Dialoge eingebaut, was angesichts der durchgängig verwendeten sprachlichen Vulgaritäten einen eher komischen Effekt hat [Asterix „Beim Teutates!“; BaS: „Jupiter’s cock!].)
- Die Bilder
Beginnen wir mit Kubricks Spartacus. Das erste Bild zeigt eine Gruppe von Gladiatorenschülern. Die wichtigen Elemente, die sowohl die historische Zeit als auch den sozialen Status der Figuren bezeichnen sind: sämtliche „Schüler“ tragen erdfarbene Kleidung und einfache Sandalen; der Ausbilder trägt Sandalen, eine Art von Knieschonern sowie eine Lederrüstung am Oberkörper, außerdem ist seine Kleidung knielang. Weitere wichtige Elemente sind das Schwert sowie die Frisuren der Gladiatoren bzw. genauer der kleine Zopf, den die Gladiatoren tragen müssen. Die Umgebung ist die Gladiatorenschule, wobei an den Gittern rechts im Bild sowie an den Zacken an der oberen Hauswand deutlich wird, dass die Gladiatoren nicht freiwillig dort sind, sondern als Sklaven Eigentum des Leiters Batiatus sind, der sie wiederum trainieren und weiterverkaufen möchte.
Das zweite Bild zeigt den römischen Senat bzw. das Halbrund, in dem die Senatoren miteinander diskutieren. Sämtliche Senatoren tragen eine weiße Toga, die an den Rändern rot abgesetzt ist. Eine Mehrzahl der Senatoren ist weißhaarig, ein deutliches Zeichen für ihr höheres Alter. Auch bei der Raumgestaltung dominiert die Farbe Weiß. In beiden Bildern zeigt sich der Wille, der antiken Vergangenheit durch die Gestaltung der Kostüme, der Räume und der Frisuren der Schauspieler gerecht zu werden. Darüber hinaus zeigt sich, dass die angeführten Zeichen nicht nur die Funktion haben, eine darstellerische Wahrscheinlichkeit zu erzeugen, vielmehr kommt denselben Zeichen häufig eine sekundäre Funktion zu. Die Konfliktparteien – Aufständische/Senatoren, Sklaven/Patrizier, Jugend/Alter – werden durch eine spezifische Farbgebung sowie durch ein je spezifisches Kostüm gekennzeichnet. Auf diese Weise wird bereits auf der Bildebene, ohne den Gebrauch narrativer Elemente, eine Opposition deutlich, die gleichzeitig den dramaturgischen Konflikt bestimmt.
Das dritte Bild zeigt wie Crassus, der Antagonist von Spartacus, und ebenfalls Senator (gekennzeichnet durch den rosafarbenen, mit goldenen Ornamenten versehenen Umhang) dem Gladiator Draba einen Dolch in den oberen Rücken sticht. Wichtig ist hieran, dass dem Realismus-Gebot gemäß, dem historische Darstellungen unterliegen, rotes Blut zu sehen ist sowie die Tatsache, dass die jeweilige Waffe wirklich in den Körper eindringt. Das ist vor allem bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Hitchcocks Psycho aus demselben Jahr in der berühmten Duschszene (da er in Schwarz-Weiß gedreht wurde) weder rotes Blut noch das Eindringen des Messers in Körper zeigt.
Kommen wir zum letzten Bild-Beispiel aus Kubricks Spartacus, dem Beginn der Schlachtsequenz. An dieser Stelle zeigt sich die Bemühung der Vergangenheit zu entsprechen wohl am deutlichsten. In einer Aufsicht sieht der Zuschauer einen Teil der römischen Armee im Vordergrund des Bildes sowie im Hintergrund des Bildes das Heer der ehemaligen Sklaven, wie es auf einer Anhöhe steht. Wichtig an dieser Totalen, weil historisch angemessen und somit beim Zuschauer den Eindruck von Wahrscheinlichkeit auslösend, ist die Leere des eigentlichen Schlachtfeldes in der Bildmitte sowie die dadurch visualisierte Distanz zwischen den zwei Heeren.
Ganz anders die Bilder von Spartacus Blood and Sand: Auf dem ersten Bild sieht man wie sich Spartacus von seiner Frau Sura verabschiedet, um in den Krieg zu ziehen. Er trägt eine Art Rüstung und einen Umhang, sie ein Kleid. Interessant ist allerdings etwas anderes, nämlich der Sonnenaufgang, der eindeutig digital hinzugefügt worden ist. Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass die Serie Blood and Sand nicht in erster Linie realistisch sein will.
Auch das zweite Bild besticht durch digitale Hinzufügung von Bildelementen, und zwar wurde nicht nur reichlich Blut hinzugefügt. Auch die Zuschauermenge sowie die Tribüne im Hintergrund sind digitale Zugaben. Allerdings dürften die Kostüme eine angemessene historische Wahrscheinlichkeit beanspruchen.
Das dritte Bild wiederum gewährt den Zuschauern einen Blick hinter die Kulissen der Gladiatorenschule, genauer in den Waschraum. Bemerkenswert ist hier nicht die besonders für den US-Markt bemerkenswerte/seltene/aufsehenerregende full frontal nudity, sondern die damit verbundene Konzentration auf die Körper bzw. Körperlichkeit der Gladiatoren. Die Körper sind nicht einfach nackt, sondern vollkommen haarlos und glänzend. Unwahrscheinlich daran ist nur die Muskelverteilung, wenn man auf den Gladiator Crixus achtet.
Alle drei Bilder sind repräsentativ für den Look der Serie: die Hinzufügung digitaler Bildelemente sowie die visuelle Konzentration auf Blut und nackte Körper. Letzteres ist dabei durchaus der Bemühung geschuldet historische Plausibilität herzustellen. Sowohl die Gewalt, gekennzeichnet durch umher spritzendes Blut, als auch der Fokus auf die Körperlichkeit der Figuren (gekennzeichnet durch wiederholte Nacktheit) können auf visueller Ebene als Versuche gewertet werden, etwas von der Archaik der antiken Zeit zu vermitteln. Blut, Gewalt (und Sex) sind Mittel um historische Evidenz zu erzwingen. Beide Spartacus-Produktionen weisen unterschiedliche Grade von Wahrscheinlichkeit auf: Während Kubricks Film die politische Dimension des Konflikts zwischen Aufständischen und Herrschenden zeigt, möchte Blood and Sand vor allem den historischen Abstand zur gleichsam archaischen wie dekadenten Vergangenheit zeigen. Dass die Serie dabei häufig unfreiwillig komisch wirkt, liegt nicht allein an den Dialogen, sondern an der penetranten Wiederholung der immer gleichen Bilder.
Es dürfte deutlich geworden sein, dass sämtliche Darstellungen von historischen Stoffen in einem gewissen Maße wahrscheinlich sind. Selbst eine Serie wie Spartacus: Blood and Sand, deren Bilder jeglichen Realitätsanspruch zu verneinen scheinen, benutzt Zeichenelemente, die das Gezeigte wahrscheinlich erscheinen lassen. Natürlich ist die Beschreibung und Analyse visueller Zeichenelemente immer zurückzubinden an die jeweilige Erzählung. Wenn Blood and Sand wie beschrieben vor allem Blut und nackte Körper zeigt, so könnte man argumentieren, dass die narrative Begrenzung des Spartacus-Stoffes auf die Gladiatorenthematik die Bildgestaltung massiv beeinflusst hat. Betont wird demnach in der Fernsehserie der archaische Spektakelcharakter des Gezeigten, den man den antiken Spielen unterstellt. Bei Kubricks Spartacus steht, wie gesagt, die politische Dimension im Vordergrund. Dass die Handlung sich vor allem auf den Kampf der ehemaligen Sklaven gegen das große Rom konzentriert, verdankt sich sowohl der Buchvorlage von Howard Fast als auch dem Drehbuch von Dalton Trumbo. Beide Autoren waren überzeugte Kommunisten und die Wahl des Stoffes darf sicherlich auch unter dem Gesichtspunkt verstanden werden, dass ein historisches Exempel für den Klassenkampf gewählt wurde. Dabei gehorcht die Darstellung den Ansprüchen an den monumentalen Kostümfilm und hat auf diese Weise die Möglichkeit eröffnet, politische Inhalte zu transportieren.
[1] Vgl. dazu Aust 1994; S. 1: »Vom Beginn seiner Geschichte an führt die Poetik des historischen Romans einen Rechtfertigungskampf gegen den Vorwurf, daß er als ›Zwittergattung‹ im Grunde schlechte Ästhetik sei und mit seiner Überbrückung von Roman und Historie, Erzählung und Drama sowie Wissenschaft und Spannung nur für die Unterhaltungsindustrie tauge.« Ferner: Müller-Michaels 1988, S. 11: »Der historische Roman sei eine Zwittergattung von trauriger Gestalt. Die ganze Gattung bleibe hinter dem ästhetischen Autonomie-Potential zurück, weil sie ästhetikexternes – referentialisierbares – Material benutzen muß und auf ästhetikexterne – praktische, politische – Effekte bei den Lesern schiele. Der historische Roman vermenge auf unselige Weise wissenschaftlichen und literarischen Diskurs, sei ein didaktisch angelegtes, auf Unterhaltungseffekte kalkulierendes Verdoppelungsunternehmen zum Transport von Erkenntnissen, die im wissenschaftlichen Diskurs besser und valider vermittelt werden könnten.«